„Es ist ein Zeichen, daß Überdruck herrscht“

■ Was denken ostdeutsche Prominente über die Idee zur Gründung einer Ost-Partei und den Schulterschluß zwischen Diestel und Gysi?

NR. 15

Foto: Peter Peitsch

„Die Leute im Osten haben viel nachzuholen an Selbstbestätigung und Gründungsaktivitäten. Wer nie gestreikt hat, wer nie eine Partei gegründet hat — und nachträglich weiß, daß das genau das Falsche war, daß da auch sein ganzes Versagen liegt —, hat viel nachzuholen. Das ist das eine, und das versteh' ich gut und find' ich auch richtig. Man kann diesen Komplex, den wir alle haben, nicht anders als tätig aufholen, das kann man nicht geschenkt kriegen. Das zweite ist: wenn die Leute begründet oder unbegründet das Gefühl haben, daß sie nicht vertreten werden durch die Parteien, dann find' ich es in Ordnung, wenn sie etwas gründen, wodurch sie sich vertreten fühlen. Wenn dieser Verein genügend Anhängerschaft findet, dann ist offenbar was falschgelaufen in der Politik. Nachdem ich das alles verständnisvoll geäußert habe, muß ich sagen, daß mir dieses ganze Unternehmen absolut unsympathisch ist. Ich finde überhaupt nicht, daß mit diesem Regionalchauvinismus irgendein Problem zu klären wäre. Es wird demnächst lauter solche Idiotien im Schnelldurchgang geben. Darüber hinaus kann ich dieses ganze Wessi-Ossi-Gerede nicht ertragen. So ein Ost-Verein kommt mir vor wie eine Landsmannschaftsgründung. Außerdem ist mir eine Figur wie der Diestel ganz unheimlich. Die Sache hat zwei Seiten: die eine ist die psychologische, die andere ist die politische. Die psychologische muß man einfach verstehen.“

(Monika Maron, Schriftstellerin)

NR. 13

Foto: Holger Floß/Paparazzi

„Ich halte von Parteien gar nichts. Weder von dieser noch von irgendeiner anderen. Neue Parteien sind immer Reaktionen auf alte Parteien. Das kann ich zwar verstehen, aber das muß ich noch lange nicht gutfinden. Ich find's beschissen. Ich glaube nicht mal, daß sie sich nur auf Ressentiments stützen wird, das kommt drauf an, was für Köppe drinnen sitzen. Aber es gibt ja kaum welche. In der DDR gibt es die zwar in Massen, aber keine, die in eine Partei eintreten würden. Der Schulterschluß zwischen Diestel und Gysi wundert mich dabei nicht. Die haben sich wohl mal beim Kaffee kennengelernt, haben vielleicht auch mal 'nen Wodka zusammen getrunken, und dann ist die Sache gelaufen. Sammlungsbewegung klingt ja noch schlimmer als Partei, absolut harsch. Das erinnert mich an die Sprache des Dritten Reichs.“

(Sascha Anderson, Dichter)

NR. 20

Foto: Ralph Rieter

„Jetzt wird für mich die tatsächliche Seilschaft deutlich wie nie: Diestel, Gysi, de Maizière — drei DDR-Juristen. Ich erinnere: die DDR-Justiz war neben dem MfS der zweite verlängerte Arm der SED. Ich finde den Vorgang makaber. De Maizière hat für die schwindende DDR den Einheitsvertrag abgesegnet. Das heißt, er hat die DDR für 'nen Appel und 'n Ei verkauft. ,Rückgabe vor Entschädigung‘ zum Beispiel war schon von vornherein als Katastrophe für DDR-Bürger absehbar. Ich hab' mich damals gefragt, warum macht der Mann das? Wenn der sich jetzt als Kämpfer für DDR-Interessen präsentiert, kann ich nur sagen: ein atemberaubender Zynismus. Es geht bei der Ost-Partei um nichts weiter als den Machterhalt einer alten Clique. Die Ostler sind dafür nur ein Mittel. Schade, daß die das nicht merken.“

(Freya Klier, Regisseurin

und Autorin)

NR. 16

Foto: rtr

„Zum einen sind mir die Geburten, die aus der politischen Weltsicht des Herrn Diestel kommen, suspekt. Zum anderen sind die existierenden Parteien und Bewegungen aufgerufen, ihre Aufgabe zu erkennen. Ich bedaure ein bißchen, daß so ein Theaterdonner — von einer Person, die sonst auf der politischen Bühne nicht mehr besonders viel gilt — Anlaß wird für führende Politiketagen, die nationale Herausforderung neu zu reflektieren. Der realistische Kern ist der berechtigte Protest, daß das große nationale Programm, um den elementaren Notlagen wirtschaftlicher Art zu wehren, nicht richtig entwickelt worden ist. Das müssen die Menschen zu Recht anmahnen und dafür kämpfen. Aber dazu haben sie Gewerkschaften, Parteien und Bürgerbewegungen. Ich kann nicht unterstützen, daß man so tut, als sei das Hauptproblem ein ,West macht Ost platt‘-Problem. Das verkennt völlig die Tatsache, daß die ruinösen Zustände nicht durch den schnellen Zugriff der unterschiedlich motivierten Wessis herbeigeführt wurden, sondern daß wir in einer Strukturkrise stehen, die durch das totalitäre System verursacht worden ist. Eine Parteigründung, die über unterschiedliche politische Ansätze hinweg einen Konsens herstellen will, um die bestimmte Interessenlage einer Region wahrzunehmen, halte ich für kontraproduktiv. Die Gründung einer Ost-Partei würde außerdem die Solidarität der Deutschen West kaum befördern, sondern eher eine Wagenburg-Mentalität gegenüber dem Osten fördern. Ich denke, daß es eines nationalen Diskurses bedarf, der die Sorgen des Ostens bündelt und dafür sorgt, daß diese nicht immer nur als Nölerei ankommen. Die Diestel-Pläne aber sind eine Rückkehr in eine ostdeutsche ,Wir sind doch alle eins‘-Mentalität, die eigentlich nicht mehr zeitgerecht ist. Wichtig wäre demgegenüber, daß gerade der Konsens unterschiedlicher politischer Lager in dieser existentiellen Frage gesucht wird. Wenn diese Bereitschaft nicht erkennbar wird, dann werden solche halbseriösen Abenteuer Erfolg haben können.“

(Joachim Gauck, Direktor

der gleichnamigen Behörde)

„Es ist eine originelle Idee, die einige Spannung in die Politlandschaft bringen wird. Ich befürchte aber, daß sie keine politische Struktur haben wird außer dem Ost-West-Ressentiment. Ich selbst bin zwar sehr friedlich gegenüber dem Westen und habe keinen solchen Urteile. Aber ich habe in letzter Zeit einiges erlebt, was es mir schwermacht, neutral zu bleiben. Wenn es anderen so oder schlimmer ergeht, kann ich mir vorstellen, daß sie ganz schöne Ressentiments anhäufen. Das zweite ist, wie man der Unzufriedenheit einen politisch- konstruktiven Ausdruck verleiht. Da quillt nun diese Idee von Diestel und anderen sozusagen aus dem übervollen Farbsack heraus. Was ich jetzt so höre, ist das reine Ost-West-Ressentiment im Osten — vom Westen will ich jetzt nicht reden, da ist so etwas auch vorhanden — erstaunlich verbreitet und einigt Leute, die sonst nicht viel Gemeinsames haben in politischer oder sozialer Hinsicht.

NR. 18

Foto: Zenit

Als Protestangebot hat das genau dieselben Chancen wie andere Protestbewegungen. Auf Dauer geb' ich so einer Partei keine große Chancen: Emotionsparteien können wenig konstruktiv zur Lösung der bestehenden Probleme beitragen. Aber das ist ein Schuldschein, der auf die vorhandenen politischen Kräfte geht. Denn eigentlich hätten diese die Aufgabe, die Probleme zum Thema zu machen. Es ist ein Zeichen, daß Überdruck herrscht. Aus der Notsituation heraus hat diese Idee eine Chance. Begrüßen würde ich das nicht, so eine Sammlungsbewegung quer über den Gemüsegarten.“

(Jens Reich, Wissenschaftler

und Publizist)

Die Gespräche führte

Bascha Mika