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Nicht links, nicht rechts, sondern Ost

■ Die Pläne von Peter-Michael Diestel, eine Interessenvertretung für die Ost-BürgerInnen zu gründen, bringt die West-PolitikerInnen zum ersten Mal seit der deutschen Einheit in die Defensive

Könnten die Verfechter einer „Ost-Partei“ ihren idealen Vorsitzenden ausdeuten, die Wahl wäre schon gelaufen: ein Ostler, der den überlegen-staatsmännischen Gestus beherrscht, dabei durchtrieben wie ein Westler, der die Interessen des Ostens puscht — oder zumindest immer so wirkt; das Ganze überwölbt von einer Ost-Biographie, bei der die einen „verfolgte Unschuld“ assoziieren, während die andern augenzwinkernd den Kampfgefährten von einst zu erkennen glauben. Kurzum, Manfred Stolpe, der brandenburgische Ministerpräsident, der beim sonntäglichen Verfassungsreferendum gerade einen Vertrauensbeweis jenseits der 90-Prozent-Marke eingefahren hat, wäre der Richtige.

„Wir müssen dicht dranbleiben an den Sorgen, die die Menschen umtreiben“, kommentiert Stolpe die Abstimmung und könnte doch mit solchen Sätzen die ehemaligen DDR- BürgerInnen in Scharen für die neue Sammlungsbewegung mobilisieren. Doch bislang noch muß die geplante Ost-Bewegung mit Peter-Michael Diestel als Hauptdarsteller auskommen. Vorweg: auch er macht seine Sache nicht schlecht. Den Nimbus des Ost-Vertreters hat er mit seiner eigenwilligen Amtsführung als letzter DDR-Innenminister sicher. Spätestens seit er als Fraktionsvorsitzender in Potsdam dem Machtanspruch des Westlers und CDU-Chefs Ulf Fink zum Opfer fiel, verkörpert auch er das ressentimentgeladene Klischee des ausgebooteten Ost-Menschen im mißglückenden Einheitsprozeß. Staatsmännisch wirkt er nun nicht gerade. Dafür aber kommt die schalkhafte Art, mit der er seit je seine Gegenspieler auf die Palme brachte, der neuen Rolle entgegen. Was käme Menschen, die sich gedemütigt, entwurzelt oder resigniert fühlen, gelegener als ein Vorkämpfer, der endlich und locker-grinsend ein Ost-Instrument präsentiert, das — noch bevor es installiert ist — den West-Politikern schon das Fürchten lehrt. Der Bonner „Aufschrei“, den die Idee seiner Ost-Partei auslöste, habe ihn schon amüsiert, durch das Bonner „Blöken“ müsse er sich „bestätigt“ fühlen, übt Diestel die Rolle des Eulenspiegel (Ost).

In der Tat, wollte man aus den Bonner Reaktionen die Chancen der Sammlungsidee ableiten, die Prognosen wären überwältigend positiv. Unterfüttert mit dem sicheren Gefühl, daß alle blumigen Perspektiven des Einheitsjahres längst ad absurdum geführt sind, und dankbar-irritiert, daß die frustrierte Gesellschaft im Osten ihr Einheitsschicksal alles in allem eher paralysiert hinzunehmen bereit ist, versetzt allein Diestels Idee Bonn in helle Aufregung. Die gewundene Art, in der Funktionäre aller Parteien ihre Ablehnung in überschwengliches Verständnis für die Sorgen und Nöte des deutschen Ostens verpacken, zeigt, wie brisant die Stimmungslage in den neuen Ländern eingeschätzt wird. Konsequent reiht sich Diestels Idee an die PDS-Ergebnisse bei den Berliner Kommunalwahlen. Mit der politischen Organisation der Ost-Interessen und der Instrumentalisierung des grassierenden Ost-gegen-West-Ressentiments könnte der Westen — erstmals seit Beginn des Einheitsprozesses — in die Defensive geraten.

In diesem Sinne konsequent, ist Diestel vom ursprünglichen Begriff einer Ost-Partei schnell abgerückt, um unter der Bezeichnung „Sammlungsbewegung“ das potentielle Sympathisantenfeld weiter auszuweiten. Eingeladen sind jetzt auch alle Parteimitglieder, denen Diestel mit dem unverbindlicheren Begriff erst einmal den Loyalitätskonflikt mit ihrer Organisation erspart. Zudem suggeriert das neue Schlüsselwort Unmittelbarkeit und die Chance, jetzt endlich könne jeder beim Kampf um die eigenen Interessen mittun. Ganz nebenbei hält sich Diestel selbst damit auch die Option offen, weiter in der CDU mitzumischen. Die würde ihn — Sammlungsbewegung hin, Partei her — schon heute liebend gerne ausschließen, müßte sie nicht fürchten, Diestels Konkurrenzprojekt damit nur weiter spektakulär anzuheizen.

Auch für die Interessenten aus der PDS ist die erst mal unverbindlichere Organisationsform zwingend. Ihr Dilemma: eine Konkurrenzgründung mit Ost-Anspruch würde die eigene Regionalexistenz gefährden; aber — ein Aufgehen in Diestels Projekt erscheint der SED-Nachfolgepartei kaum attraktiver. Einfluß wahren, ohne sich schon zu binden, heißt deshalb die Parole aus dem Karl-Liebknecht-Haus. Ost — von links bis rechts, darauf könnte es am Ende hinauslaufen.

Daß Diestel die Gründung, die ursprünglich für gestern, den Tag nach dem Brandenburger Referendum, angekündigt war, noch einmal verschoben hat, deutet darauf hin, daß die illustre Runde erst noch komplettiert werden muß. Neben Diestel und Gysi sind Lothar de Maizière sowie der ehemalige Humboldt-Rektor Heinrich Fink im Gespräch, was den Kritikern der Idee dann doch noch die vage Hoffnung beläßt, das Ganze laufe eben doch nur auf eine „Nostalgie-Veranstaltung“ hinaus. Steffen Reiche, SPD-Chef in Brandenburg, weiß es besser. Er hat gestern ein „Gegenkonzept“ zu Diestel entdeckt. „Die Gemeinschaft ostdeutscher Bürger“, die demnächst in Bonn für Druck sorgen soll — am Tag der deutschen Einheit. Matthias Geis

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