»Leute, die zum Psychiater gehören«

■ Dokumentation zur schwierigen Zwangsvereinigung der Jugendwellen von SFB und Ostdeutschem Rundfunk (ORB)/ Internes »Memo« von Moderator Barry Graves

Die Jugendradios des SFB und des ORB — Radio4U und RockradioB — sollen ab 1. Juli gemeinsam auf der Berliner DT 64-Frequenz UKW 102,6 senden. Den nicht sehr kooperationsbegeisterten Intendanten beider Sender, von Lojewski und Rosenbauer, schien diese Jugendwelle wohl das optimale Versuchskaninchen für die irgendwann zwingend kommende Vereinigung der finanzschwachen Rundfunkanstalten zu sein. Denn allzu heftiger Widerstand der MacherInnen war nicht zu erwarten. Wußten doch beide nicht gerade quotenträchtigen Jugendprogramme — insbesondere Radio4U vom SFB —, daß man ihnen nur noch diese eine Chance geben würde.

Neben der Zwangszusammenlegung der Jugendwellen sind ein gemeinsames Info-Programm im Hörfunk und ein gemeinsames Drittes TV-Programm von SFB und ORB geplant. Zwischen den Anstalten vereinbart wurde, daß bei der Jugendwelle der ORB die »Federführung« übernimmt, während bei der Info-Welle der SFB bestimmen darf.

Die Etablierung des gemeinsamen Jugendprogramms gestaltet sich seit Monaten sehr schwierig. Strittig sind die Musikfarbe, das Format des Programms, der Umfang des Wortanteils und die Frage, ob das Programm werbefinanziert sein soll. Hinzu kommt ein mehr oder weniger heftiger Ost-West-Konflikt. Zunächst werden im Juli nur die beiden Programmflächen der Jugendwellen zusammengelegt, man wechselt sich über den Tag hin ab. Ein richtiges gemeinsames Programm soll es im Oktober geben. Wie schwer die Vereinigung der Jugendwellen fällt, zeigt die Dokumentation folgenden Briefes. Der freie SFB-Moderator Barry Graves hat ihn am 13. April an seine KollegInnen geschrieben. Gegenüber der 'taz‘ betonte Graves, daß der Brief als »ein internes Memo« zu betrachten und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei.

Liebe Kollegen,

es sind nicht einmal mehr zwei Monate bis zum projektierten Beginn des gemeinsamen Jugendprogramms von SFB und ORB; trotzdem ist nicht einmal in Ansätzen eine gemeinsame Arbeitsbasis erkennbar.

Wir Moderatoren, die ja die eigentlichen Programmträger sind, haben die Leute von der »anderen Seite« noch nicht kennengelernt. Was wir aus Sitzungsprotokollen, Gesprächsmitteilungen etc. erfahren haben, ist höchst alarmierend. Es scheint sich bei den Leuten von Rock Radio Brandenburg nicht um Radiomacher zu handeln, die mit höchstem Professionalitäts-Willen eine möglichst breite Zuhörerschicht erreichen wollen. Hier haben wir es offenbar mit einem Klüngel von egozentrischen Sektierern zu tun, die mit ihrem neurotischen Weltverbesserungs-Gehabe und ihrer angestaubten Sehnsucht nach einem Kiez-Radio der ewig Unzufriedenen und Frustrierten mit Radio4U nie und nimmer kompatibel sind. Da hätte das neue Team von DT64 besser zu uns gepaßt.

Nichts, aber auch nichts, was die Leute von Rock Radio Brandenburg vorgeschlagen haben, macht deutlich, daß sie einen Draht zur Medienwirklichkeit unserer Tage und zu den Bedürfnissen und Verhaltensweisen der Hörerschaft haben. Alle ihre Vorschläge zielen lediglich in schamlos unprofessioneller Weise darauf hin, ihren eigenen Befindlichkeiten zu dienen und einen vermeintlichen Ost-West-Konflikt noch zu vertiefen, weil sie allein daraus offenbar ihre Existenzberechtigung ableiten.

Erst einmal ist es völlig undiskutabel, die Geschäftsleitung und Redaktion der neuen gemeinsamen Welle paritätisch zu besetzen. Die Hauptstadt hat fast vier Millionen Einwohner, das Land Brandenburg etwas mehr als die Hälfte. Woher die Brandenburger den Anspruch nehmen — der ihnen auch von unseren Verhandlungsführern noch zugestanden wurde! —, die Hälfte aller Stellen zu besetzen, ist schleierhaft. [...]

Das Schärfste aber ist der Anspruch von Rock Radio Brandenburg, die Welle in Potsdam oder der Nalepastraße anzusiedeln.

Es ist die reinste Idiotie, eine Welle, die sehr viel mit aktuellen Reportagen, Live-Gästen, schnellen Informationen etc. arbeitet, am Arsch der Welt anzusiedeln. Jeder Reporter, jeder Moderator, jeder Redakteur weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, im Zentrum von Geschehnissen zu sein, wo alle Kommunikations-, Informations- (Konzerte, Filme) — und auch Einkaufsmöglichkeiten (Platten, Bücher) gegeben sind.

Diese schlichteste aller Erfahrungen, die ein Profi hat, ist den Leuten von Rock Radio Brandenburg nicht vertraut oder scheißegal — Hauptsache, sie können wieder mal ihren Ost-Komplex pflegen. Ich habe aber, ehrlich gesagt, die Schnauze voll von Leuten, die eigentlich zum Psychiater gehören, anstatt uns ständig mit unüberlegten Forderungen zu belästigen.

Die jungen Leute, auch in Brandenburg, orientieren sich natürlich nach der Metropole. Da passiert (fast) alles, was junge Leute fasziniert, interessiert oder meinetwegen auch irritiert. Das war immer so, das ist überall in der Welt so. Die Kids in Hackensack, New Jersey, sind auch eher interessiert am zehn Meilen entfernten Manhattan (den Clubs, Kneipen, Theatern, Aktionsgruppen) und nicht an der Tambourin-Rasselgruppe der örtlichen High-School. [...]

Eines ist doch klar: Mit den Leuten von Rock Radio Brandenburg läßt sich nicht zusammenarbeiten, weil sie nicht sach-, sondern neurosenorientiert sind, weil sie in unanständiger Weise vermeintliche Ost-Befindlichkeiten für ihre dummen Ansprüche vorschieben. Dabei scheinen sie, Dilettanten, die sie nun mal sind, übersehen zu haben, daß auch mindestens 90 Prozent der Ost- Kids sich freiwillig für ein Radio westlicher Art entschieden haben, denn die hören Rias2, RTL und Energy etc. [...]

Die Leute von Rock Radio Brandenburg bedrohen mit ihren Forderungen und Ansprüchen unmittelbar Eure Arbeitsplätze, denn eine solche Welle, wie sie denen vorschwebt, kommt bei den Hörern nicht an, wird als Ghetto-Radio dahinkümmern und mangels Zuspruch von den Herren Rosenbauer und Lojewski eingestellt werden. [...]

Vielleicht sollte Rosenbauer kompetente, unverklemmte Leute schicken, dann ließe sich eine tolle Welle für die Region machen. Vielleicht weiß Rosenbauer, der ja Profi genug ist, gar nicht, was für unfähige Idioten er da beauftragt hat. [...]

Beste Grüße, Barry