Luzifers Reisen durch den Kopf

■ Der »Blaue Salon« des »Tacheles« als 38. Raum des Projekts »37 Räume« ist derzeit ein Cyberspace

Im »Blauen Salon« im obersten Stockwerk des »Tacheles« stinkt es noch nach Brand. Das Feuer, das am 26. Mai die benachbarten Wohnhäuser niedermachte, hatte auch an den blauen Wänden geleckt. Eine guter Kunstraum, um künstliche Räume zu präsentieren. Luzifers Reisen, eine Gemeinschaftsproduktion der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst und des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen am geographischen Rand des Projekts »37 Räume« in der Auguststraße, beschäftigt sich in mehreren Installationen mit Menschen, Medien, Simulationen, sprich: Cyberspace. Laut Bibel hat sich Luzifer, der gefallene Engel des (künstlichen) Lichts, an einer zweiten Schöpfung versucht.

Macht die Möglichkeit, sich per computergesteuerter Videobrille auf der Nase in einem dreidimensionalen virtuellen Raum bewegen zu können, den Schwindel der Zukunft oder den Schwindel vor der Zukunft aus? Jedenfalls wird uns sofort taumelig, wenn wir in den wie eine Glocke schwingenden Videofernseher schauen, in dem uns ein Cyberspacer mit dem Kopf nach unten entgegenschaukelt. Die Glockentöne sind auch nebenan in der »Cyber-Kathedrale« vernehmbar, einem von schwarzen Vorhängen umhängten Raum. In ihrer Mitte: eine Brille in einem erleuchteten Kasten, in dem sich weiße Federchen wie Traumbilder bewegen. Das Fiese: Ihre innenseitigen Dorne stechen durch den blinden Fleck mitten ins Gehirn, bahnen den direkten Weg für die Bilder. In einer Ecke des schwarzen Raums hängt eine weitere Black Box: ein Koffer mit zwei roten Gucklöchern, durch die wir wie mitten in die kreisenden Blutbahnen schauen.

Hinten im Raum sehen wir »die Zukunft auf der Intensivstation«, aufgebahrt auf einem OP-Tisch mit Infusionsschläuchen. Statt des Kopfes hat sie ein Videogerät, in dem sich Cyber-Johnny mit Cyber-Brille auf dem Kopf und Cyber-Maschine am Schwanz mehr angst- als lustvoll mit diversen virtuellen Lolas und Ingas vergnügt. Klanglich untermalt wird sein per »Effectometer« gemessenes Stöhnen vom »Zeitmesser« nebenan, einer Uhr in Form eines Auges, die mit 180facher Beschleunigung tickt und rast: KeineZeit KeineZeit KeineZeit! Dieses Auge der Zeit wird, eine Hommage an Bunuel, von einer Rasierklinge durchtrennt: Der Film war der erste Schnitt in die Zeit.

Die ganze »Cyber Light«-Ausstellung aber ist dem Philosophen Günter Anders gewidmet, der als erster die »Antiquiertheit des Menschen« angesichts der von ihm nicht mehr beherrschbaren Technik untersuchte. Luzifers hiesige Zwischenlandung ist jedoch nur ein erster Schritt der bis Mitte 1993 angelegten »work in progress«-Produktion Laterna Tragica, in der sich diese und andere Objekte schließlich zu einer Multimedia-Performance zusammenfügen sollen. Ute Scheub

Bis Sonntag, 17 bis 20 Uhr im obersten Stock des »Tacheles«, Oranienburger Straße 54-56.