Goldberg, variiert

■ Jugendliche zeigen die »Goldberg Variationen«

Gott ist zum schmierigen Regisseur geworden. Sein Wirkungskreis ist eine drittklassische Klitsche, die das ganze Theater nicht mehr hinterfragt, sondern die Lächerlichkeit ihres Zustandes nurmehr in der Desorganisation an- und einsichtig werden läßt. Gott, der Herr und Menschenregisseur, als ziemlich abgetakelte Fregatte: dem Weltenerfinder und Menschenerzieher ist von seiner ursprünglichen Idee nur eine unfreiwillige Farce geblieben, eine im Anarchismus ersaufende Choreographie. »Jott« — wie er so schön berlinisch gerufen wird — will am Ende gar nichts mehr gelingen, weil niemand mehr auf ihn hört und keiner mehr an ihn glauben mag: die Techniker haben verlernt, auf sein Kommando zu hören — wenn er grünes Licht verlangt, bekommt er blaues. Dieser Menschenführer hat dann, wenn es ernst wird, auf der Bühne nichts mehr zu suchen. Im Jugendhaus an der Argentinischen Allee stürzt er wütend ab und ward nicht mehr gesehen.

Die Goldberg Variationen des Bühnenmagiers George Tabori beschreiben mit amüsantem Zungenschlag das Verhältnis von Gott und Mensch in der Bühnenmetapher: Goldberg ist der jüdische Assistent des Meisters, der für den korrekten Ablauf dessen zu sorgen hat, was der berühmte Regisseur zuvor unfertig hinterließ — hinzufügen kann er nicht, nur mit handwerklicher Ausgebufftheit das Chaos nach Menschen Möglichkeit ordnen. Im Jugendhaus hören wir Goldberg am Ende als überlegenen Inspizienten, der sein Handwerk versteht, die Vorbereitung zum reibungslosen Ablauf routiniert gewissenhaft erledigen: Lichtstand: ok, Tonstand: ok...

Am Wiener Burgtheater hat Tabori seinen frozzeligen Durchgang durch die heiligen Stationen des alten und neuen Testaments zu einem furiosen Backstage-Stück für zwei Erzkomödianten gestaltet; Gert Voss und Ignaz Kirchner durften ihre ganze Improvisationsfähigkeit ausschöpfen und einen monumentalen Bühnenwitz amüsant ausstaffieren. Im Haus der Jugend in Zehlendorf stehen keine großen Schauspieler zur Verfügung, und so hat die Jugendgruppe unter der Leitung von Jürgen F. Schmid das ihnen Mögliche getan, aus dem Stück eine sie betreffende Sache zu machen. Am direktesten stellt sich dabei der Bezug über die Hell's Angels ein — als Inkarnation des bösen ums Goldene Kalb tanzenden Volks —, die nicht als hochkonfektionierte Punkergruppe auftreten und fürs voyeuristisch gestimmte Auge, die schlechte, dumme Menschenmasse mimen, sondern als rockende Band über die Bühne fetzen und ein ums andere Mal rockig Anklagendes intonieren. Des Menschen Klage über die Inkompetenz Gottes und dessen Schwanzeinkniff in Sachen Verantwortung stehen hier im Vordergrund. Die Bühnenmetapher nimmt dabei nie überhand, sondern bleibt stets im Dienst der Auslegung. Komisch bleibt das allemal.

Wenn sich der Vorhang aber zum letzten Mal öffnet und die Aufführung beginnen soll, deren wechselhaft stockende und sich überstürzende Probe wir erlebt haben, dann stehen auf einmal jene kleinen Kreuze auf der Bühne, die das Publikum zuvor unter Anleitung der Requisiteurin so amüsiert zusammenstecken durfte: Ein von Publikumshand angefertigter Todesacker, der plötzlich ganz in Bann schlägt und die Zuschauer sich nicht mehr kringelig lachen läßt.

Eine kleine Kammerproduktion ist hier entstanden, die die Goldberg Variationen ohne Angst vor Autoritäten und mit jugendlicher Frische angemessen variiert und die zeigt, wie direkt der Text auch auf der Laienbühne zur Wirkung und Geltung gebracht werden kann. Der Verlag Taboris tat gut daran, nach anfänglicher Weigerung, die Aufführungsrechte an diese ambitionierte Gruppe doch noch zu vergeben. baal

Heute und Fr. 20 Uhr, Haus d. Jugend Zehlendorf, Argent. Allee 28