: Lola im Systemvergleich
■ Seit Freitag hat Berlin einen neuen Blauen Engel
Daß sie von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt sei, sang Eva Mattes alias Ute Lemper alias Lola Fröhlich gleich am Anfang. Der Applaus war ihr gewiß; vor allem das in Reisebussen aus fernen Ortschaften angereiste Publikum klatschte begeistert in die Hände. Auch die anwesenden PressevertreterInnen waren sich in der Pause einig: die Eva hat irgendwie mehr Seele als die Ute. Diese Frage schien im Anschluß an die zweite Premiere des Blauen Engels im Theater des Westens also geklärt: Eva Mattes wird den Sommer über tanzen, und wenn die Inszenierung im Herbst nach Hamburg geht, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch dort die Hauptrolle spielen. Frau Lemper hat nach den massiven Angriffen der Presse auf ihre Person — so heißt es zumindest — einfach keine Lust mehr.
Die Inszenierung von Zadek und Savary wirft aber nicht nur die Frage auf, ob die Lola richtig besetzt wurde. Es mag sein, daß Frau Mattes eine bessere Schauspielerin ist als Frau Lemper, es ist unbestritten, daß sie der Ursprungs-Lola Dietrich ähnlicher sieht als ihre verschnupfte Kollegin. Doch für den kolossalen Reinfall im TdW kann man Lemper nicht verantwortlich machen. Angesichts der konventionellen Bilder, der peinlichen Liedertexte und der schizoiden Inszenierung muß man konstatieren, daß das ganze Stück völlig belanglos ist.
Es ist geradezu eine Frechheit, dem Publikum diesen mit ein paar Stars aufgewärmten Mythos zu präsentieren. Obwohl die Aufführungen für sieben Tage unterbrochen wurden, sah sich im Theater des Westens niemand in der Lage, das in die Länge gezogene Stück wenigstens etwas zu straffen. Noch immer wird der Besucher mit grausamen Fernsehballetteinlagen gequält, noch immer wechseln konfuse Massenauftritte — bis zu fünfzig Leute auf der Bühne — und gestelzte, einsame Dialoge einander ab. Keines der in drei Stunden vorgeführten Bühnenbilder ist originell oder neu, alles hat man irgendwo schon mal gesehen: Bei Tutti-Frutti, im Silvesterprogramm der ARD, beim Blauen Bock — aber Blauer Engel?
Habemus Lolam wird nun allerorten gerufen. Ein neuer Papst macht aber noch keine neue Kirche. Dieser flaue Engel ist nicht mal Opium fürs Volk, höchstens lauwarmes Zuckerwasser. Das Stück ist nicht einmal denjenigen Menschen zu empfehlen, die in Kürze Besuch von ihren Eltern aus Westdeutschland bekommen. Ein Abend vor der Glotze ist billiger — und unterhaltsamer. Claus Christian Malzahn
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