Die Talk-Show-Nation

20 Jahre nach Watergate: Die US-Presse hat den Biß verloren  ■ Aus Washington M. Sprengel

Am 17. Juni 1972, nachts um halb drei, verhafteten Beamte der Washingtoner Polizei fünf Männer in der Parteizentrale der Demokraten im Watergate, einem Hotel und Appartement-Komplex am Ufer des Potomac. Was am Anfang wie ein „drittklassiger Einbruch“ (O-Ton Weißes Haus) aussah, entpuppte sich als Baustein eines der größten Regierungsskandale der USA. Zunächst aber passierte gar nichts. Unbeeindruckt von Berichten vor allem in der 'Washington Post‘, die das Weiße Haus als Drahtzieher hinter dem Einbruch vermuteten, sprachen die Wähler Richard Nixon bei den Wahlen im folgenden November ihr Vertrauen aus.

Erst im Frühjahr 1973 begann das Lügengebäude des Präsidenten und seines Stabes allmählich zu bröckeln. James McCord, einer der Einbrecher, bezichtigte vor Gericht einige Zeugen in seinem Prozeß des Meineids und deutete an, daß politischer Druck auf ihn ausgeübt worden sei. Die Präsidentenberater John Ehrlichman und H. R. Haldeman mußten für ihren Boß den Kopf hinhalten. Trotz gegenteiliger Aussagen hielt Nixon beharrlich an seiner „Ich-weiß-von-nichts“-Version fest. Erst die Entdeckung mehrerer Tonbänder, die seine Gespräche mit Beratern im Weißen Haus — die Installation der Abhöranlage hatte Nixon Anfang 1971 selbst angeordnet— aufgezeichnet hatten, erbrachte den endgültigen Beweis für die Mitschuld des Präsidenten und zwang ihn schließlich am 9. August 1974 zum Rücktritt. Mehr als 30 ehemalige Nixon-Mitarbeiter und -Spendengeber — der Einbruch im Watergate und der Cover-Up waren teilweise mit illegalen Spenden finanziert worden — wurden in der juristischen Bewältigung des Skandals wegen unterschiedlicher Vergehen verurteilt. Nixon selbst durfte sich dagegen ungestraft ins Exil nach Kalifornien zurückziehen, da sein Nachfolger Gerald Ford ihm eine Art Generalamnestie erteilt hatte. Sein „staatsmännischer“ Rat ist nach einer Phase der Isolation heute so gefragt wie nie.

Der soziale Diskurs als Klatsch-Kloake

Während Nixon also in den zwanzig Jahren seit Watergate einen Aufstieg durchgemacht hat, ist bei der Presse, die wesentlich zu seiner Demontage beigetragen hat, eher das Gegenteil festzustellen. Der investigative oder Enthüllungsjournalismus, der in den USA mit Watergate seinen bis dahin größten Erfolg feierte, hat seitdem nie wieder solche Wellen geschlagen. Carl Bernstein, der damals gemeinsam mit seinem Kollegen Bob Woodward für die 'Washington Post‘ die entscheidenden Enthüllungen über den Skandal recherchiert hat, glaubt, die US-Presse habe keinen Grund mehr, stolz auf sich zu sein. Ihre Produkte seien zunehmend „trügerisch und illusionär“ und hätten mit dem wirklichen Leben nichts mehr zu tun, stellte er kürzlich bitter in der 'New Republic‘ fest. Die Berichterstattung sei verzerrt durch die „Anbetung von Berühmtheiten, durch die Reduzierung der Nachrichten zu Klatsch und Tratsch, durch die ständige Sensationslust sowie einen politischen und sozialen Diskurs, den wir, die Presse, die Medien, die Politiker und das Volk in eine Kloake verwandeln“. Wie andere Medienkritiker bezweifelt auch Bernstein nicht, daß es nach wie vor— als Ausnahme — eine qualitativ gute Berichterstattung in den USA gibt. Sie werde aber zunehmend von Beiträgen im Stil der Boulevardpresse überlagert.

Schundblätter wie der 'National Inquirer‘, der regelmäßig irgendwelche Außerirdischen sichtet, und der 'Star‘ können in der Tat mittlerweile die Berichterstattung der sogenannten seriösen Presse beeinflussen. Das Klatschblatt 'Star‘ war im Februar kurz vor Beginn der Vorwahlsaison mit einer großen Enthüllungsgeschichte über Bill Clintons angebliche Affäre zu dem Showsternchen Jennifer Flowers rausgekommen. Innerhalb kürzester Zeit landete die Story auf der ersten Seite von solch renommierten Organen wie der 'New York Times‘ und bestimmte für Wochen die politische Debatte in den USA.

In ähnlicher Manier machte im vergangenen Jahr eine „unautorisierte“ Biographie über Nancy Reagan aus der Feder der umstrittenen Autorin Kitty Kelley Schlagzeilen bei dem New Yorker Blatt. Während eine spätere Rezension in der sonntäglichen Bücherbeilage der 'Times‘ Kelleys Recherchestil in Frage stellte und das Gesamtwerk vernichtend beurteilte, schien die Autorin des ersten Artikels jegliche kritische Distanz verloren zu haben. Kelleys Enthüllungen über das vermeintlich skandalöse Sexleben der ehemaligen First Lady könnten den Reagan-Mythos auf Dauer erschüttern, orakelte sie.

Analog zu Neil Postmans Thesen in seinem bereits vor sieben Jahren erschienen Buch Wir amüsieren uns zu Tode glaubt Bernstein, daß sich der wahre Journalismus in den letzten 15 Jahren zunehmend in Richtung auf eine „schmierige Info-tainment-Kultur“ hin bewegt hat. Er mahnt, daß Journalismus nicht nur zu amüsieren, sondern in erster Linie kritisch zu informieren habe. Und letzteres habe seine Zunft in den letzten Jahren mehr und mehr versäumt. Der Iran-Contra-Skandal sei ebenso an ihr vorbeigegangen wie die illegalen Transaktionen der Sparbanken, die die Steuerzahler jetzt Milliarden kosten.

Ben Bagdikian, Autor von The Media Monopoly, vermutet hinter den Versäumnissen der Presse handfestere Motive als allein den Trend zur Show. Bagdikian glaubt, die Besitzer der verschiedenen Medienkonzerne hätten allen Grund gehabt, in den Reagan-Jahren einen „Journalismus der Hoffnung“ zu verbreiten. Erst Reagans Deregulierungspolitik habe ihnen die Bildung gigantischer Medienmonopole möglich gemacht; ähnlich wie alle anderen Großunternehmer hätten sie von Reagans Steuersenkungen profitiert. Um eine positive Presse für die Politik des Ex- Schauspielers zu gewährleisten, seien peu à peu entsprechend gesonnene Verleger und Redakteure eingesetzt worden.

Die TED-Demokratie der Fernsehkreatur Perot

Bagdikians Rezept für eine kritischere Presse liegt in entsprechenden Zuschauer- und Leserprotesten. Die Frage ist allerdings, ob überhaupt noch ein mehrheitliches Interesse an anspruchsvollem Journalismus, der jetzt in Nischen weiterexistiert, besteht. Bernsteins Ausblick ist pessimistisch. Er glaubt, die USA seien zu einer „Talk-Show-Nation“ verkommen, in der sich der öffentliche Diskurs auf Posen und Sensationen beschränkt. Der Erfolg von Ross Perot scheint ihn darin zu bestätigen. Kein Politiker steht in der Gunst der Amerikaner derzeit so hoch wie dieser Milliardär, der seine Bereitschaft zur Kandidatur als US-Präsident bei Talk-Show-Master Larry King angekündigt hat und dessen einziger substantieller Vorschlag die Einführung eines „elektronischen Rathauses“ ist. Das TV-Publikum soll dabei nach einer kurzen Präsentation von Pro und Contra per TED zum Beispiel über die Erhöhung von Steuern entscheiden. Die Fernsehkreation Ross Perot erscheint seinen Anhängern wahrhaftiger als der leibhaftige Clinton mit all seinen Macken. Und damit diese schöne Illusion nicht zerstört wird, wollen sie gar nicht mehr über ihn wissen, als er bereit ist, ihnen zu sagen.