KOMMENTAR
: Staatliches Kidnapping

■ Die Obersten Richter der USA stellen sich gegen internationales Recht

Staatliches Kidnapping Die Obersten Richter der USA stellen sich gegen internationales Recht

Für Ross Perot, den Mann, der vor Jahren einen Privattrupp anheuerte, um Mitarbeiter seiner Firma aus iranischer Gefangenschaft zu befreien, und der jetzt Präsident werden will, wird die jüngste Entscheidung des Obersten US-Gerichts ganz nach seinem Geschmack sein. 1990 hatten Kopfgeldjäger einen mexikanischen Arzt entführt und in die USA gebracht, wo er wegen Folter eines Agenten der nationalen Drogenbehörde vor Gericht gestellt werden sollte. Obwohl diese Nacht- und Nebelaktion, wie die Obersten Richter in ihrer 6:3-Entscheidung selbst feststellten, völlig im Widerspruch zu internationalem Recht steht, wurde sie von ihnen jetzt nachträglich abgesegnet. Begründung: Der 1978 mit Mexiko verabschiedete Auslieferungsvertrag verbiete die Entführung eines Verdächtigen nicht ausdrücklich.

Diese schiefe Logik erinnert verdächtig an den als Anekdote überlieferten Fall einer Frau, die in den USA einen Prozeß gegen den Hersteller von Mikrowellen gewann, weil dieser in seiner Gebrauchsanweisung nicht ausdrücklich erwähnt hatte, daß man Hunde in dem Gerät nicht trocknen dürfe. Aber Spaß beiseite. In einer abweichenden Interpretation mahnte der Oberste Richter John Paul Stevens vor den Konsequenzen einer solch „schockierenden“ Auslegung. Wenn es der US- Regierung angemessener erscheine, eine Person zu foltern oder hinzurichten, statt ihre Auslieferung anzustrengen, seien auch diese Optionen möglich, weil sie ebenso wie eine Entführung in dem Auslieferungsvertrag nicht ausdrücklich verboten seien.

Die US-Regierung war schnell mit Lob zur Stelle. Justizminister William Barr sprach von einem „wichtigen Sieg bei unseren laufenden Bemühungen gegen Terrorismus und Drogenhandel“. Dabei wird er sich nicht nur auf den aktuellen Fall bezogen haben, sondern innerlich sicherlich über die unendlichen Möglichkeiten frohlockt haben, die sich der US-Regiereung nun eröffnen. Da wären zum einen die zwei Irakis, die von den USA und Großbritannien für den Absturz der PanAm-Maschine 103 über Lockerbie verantwortlich gemacht werden und die sich Muammar al Gaddafi bisher weigerte auszuliefern. Und da ist noch Manuel Noriega, der ehemalige panamaische Diktator, der im April für seine Rolle im internationalen Drogenhandel von einem Gericht in Miami abgeurteilt wurde. Seine Anwälte hatten angekündigt, in der Berufung unter anderem der Frage nachgehen zu wollen, inwieweit der Staatschef eines fremden Landes in einer großangelegten Militäraktion gefangengenommen werden darf. Die Antwort hat ihnen jetzt der Supreme Court gegeben. Martina Sprengel, Washington