Gesetzliche Schwulenhatz in Nicaragua

Neues Strafgesetz bedroht gleichgeschlechtliche Sexualkontakte mit Haftstrafen/ Schwule und Lesben werden in die Illegalität gedrängt, Aids-Aufklärung behindert/ „Unglaublicher Rückschritt“  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Wer in Nicaragua gleichgeschlechtliche Sexualkontakte „anregt, fördert, propagiert oder in skandalöser Form praktiziert“, soll in Zukunft „mit Freiheitsstrafen von einem bis drei Jahren bestraft werden“. So sieht es eine Reform des Strafgesetzes vor, die letzte Woche mit den Stimmen der regierenden UNO-Allianz durchgedrückt wurde. Die sandinistische Opposition und zwei entrüstete UNO-Dissidenten stimmten gegen die geplante Schwulenverfolgung, einer enthielt sich der Stimme. Schwulen- und Lesbengruppen, die sich gerade erst zaghaft um die Probleme Aids und gesellschaftliche Anerkennung zu organisieren begannen, werden durch diese Strafrechtverschärfung in die Illegalität gedrängt.

Anlaß für die Sexualstrafreform war eine Serie von Vergewaltigungen mit tödlichem Ausgang. Vor allem sexuelle Mißhandlungen minderjähriger Mädchen hatten in jüngster Zeit immer wieder öffentliche Entrüstung provoziert und sogar den Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe laut werden lassen.

Frauenorganisationen kämpften schon lange gegen das lasche Vorgehen von Polizei und Justiz, die Vergewaltigung vielfach als Kavaliersdelikt betrachten. Ausnahmsweise fanden sich die weiblichen Abgeordneten beider Lager zusammen, einen gemeinsamen Vorschlag zur Erhöhung der Strafen für Sexualattentäter auszuformulieren.

Daß während der Parlamentsdebatte letzte Woche ein zehnjähriges Mädchen in der Stadt Chinandega vergewaltigt, halbtot geprügelt und inzwischen von den Ärzten aufgegeben wurde, dürfte das einstimmige Votum noch begünstigt haben. Auf Vergewaltigung stehen in Hinkunft zwölf Jahre.

Noch wichtiger für die effiziente Verfolgung von Sexualstraftätern ist: aus einem Privatanklagedelikt wird eine Straftat öffentlichen Rechts, das heißt, die Justiz muß den Täter auch dann verfolgen, wenn das Opfer die Anklage zurückzieht. Vor allem sexuelle Gewalt in der Familie, sei es gegen die Ehefrau oder gegen die Kinder, ging häufig straffrei aus.

Daß die UNO-Fraktion, die von den Moralvorstellungen des erzkonservativen Kardinals Obando y Bravo beeinflußt ist, gleichzeitig den Artikel 205 des Strafgesetzbuches verschärfen und den Tatbestand der „Sodomie“ ausdehnen würde, war nicht vorgsehen. Artikel 205 hatte bisher lediglich homosexuelle Praktiken nur unter Strafe gestellt, wenn damit „öffentliches Ärgernis“ erregt wurde.

Während der sandinistischen Epoche galt zwar Schwulsein als unrevolutionär, doch wurde Artikel205 nie angewandt. Daß mehrere führende Kader — wie übrigens auch in der UNO — lesbische oder schwule Beziehungen haben, ist bekannt, gilt aber allgemein als Tabuthema.

Für ein Coming-out ist die machistische nicaraguanische Gesellschaft noch zu intolerant. Ein Video über „Sandinisten und die Homosexualität“, das vor ein paar Monaten auf einer Schwulenveranstaltung gezeigt werden sollte, mußte in letzter Minute auf Wunsch einiger Akteure zurückgezogen werden.

„Diese Doppelmoral ist unerträglich“, kommentierte eine lesbische Mitarbeiterin einer Regierungsinstitution, „ich weiß doch, was viele dieser Abgeordneten zu Hause machen.“ Einen „unglaublichen Rückschritt“ konstatierte die Psychologieprofessorin Martha Cabrera, „denn so eine Gesetzgebung fördert die Intoleranz und das soziale Vorurteil“. Die Direktorin des prosandinistischen Zentrums für Verfassungsrecht kündigte an, sie würde gegen das Gesetz, sobald es in Kraft trete, beim Obersten Gerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit vorgehen: „Es verstößt gegen den Grundsatz des Rechts auf freie Meinungsäußerung und auf Schutz der Privatsphäre.“

Und das Schwulenkollektiv „Somos“ will sich an die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international wenden, die bei ihrer Konvention in Tokio im vergangenen September alle wegen Homosexualität verfolgten Häftlinge zu Gewissensgefangenen erklärt hat.