PORTRAIT
: Schriftsteller wird Präsident Jugoslawiens

■ Dobrica Cosic hat für die Opposition eine Kompromißformel mit dem serbischen Präsidenten Milosevic gefunden

Belgrad (taz) — Von Gorbatschow halte er nichts, von Jelzin viel. Das hatte Dobrica Cosic vor Jahren einmal im privaten Gespräch geäußert. Gorbatschow sei einer, der zusammenhalten wolle, was man nicht zusammenhalten könne. Jelzin dagegen wolle das „russische Volk zu neuer Blüte erwecken“. Das gleiche schwebe ihm für Jugoslawien vor. Serbien müsse „erwachen“. Das sind Worte eines serbischen Schriftstellers, der seit Montag Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Jugoslawien ist. Er ist damit Oberhaupt eines international geächteten und isolierten Staates. Eines Staates, für den auch Cosic in den letzen Monaten nur Spott und Hohn übrig hatte. Jetzt will er helfen, Serbien wieder in die Völkerfamilie zurückzuführen.

Seit Jahren fordert der heute 71jährige den Aufbau eines „modernen Serbien“ und ein Ende der „titoistischen Staatsidee von Jugoslawien!“. Unter diesem Motto nahm er sich lange vor dem serbischen Präsienten Milosevic „der serbischen Sache“ an, legte seine literarische Feder zur Seite und propagierte, „alle Serben in einem Staat zu vereinigen“. Er eilte schon Ende der 70er Jahre nach Kosovo und warnte vor einem „Genozid“, den angeblich albanische Separatisten gegen die serbische Minderheit eingeleitet hätten, er verfaßte 1986 im Namen der „Serbischen Akademie der Wissenschaften“ das legendäre „Memorandum zur Erneuerung der serbischen Nation“. Von ihm stammen auch beachtete Sätze wie der folgende, der zum geflügelten Wort wurde: „Serbien hat in der Geschichte alle Kriege gewonnen, im Frieden jedoch immer verloren.“

Cosic ist sicherlich ein serbischer Nationalist, er ist aber auch ein Oppositioneller, weil er sich immer dazu bekannte, seine Gedanken nur auf friedlichem Wege umzusetzen. Er distanzierte sich deutlicher als der Oppositionspolitiker Vuk Draskovic vor Ausbruch des jugoslawischen Krieges von serbischen Freischärlern und der serbisch-dominierten Bundesarmee. Er verurteilte den Krieg in Slowenien, er mißbilligte die Angriffe auf Kroatien und forderte Frieden für Bosnien. Doch auch schon in früheren Zeiten zeigte er sich als unerschrockener Verfechter der Menschenrechte. Er gründete einst mit bekannten Dissidenten das „Komitee für Menschen- und Bürgerrechte“ und setzte sich trotz seiner „Genozid-These“ für die Freilassung albanischer politischer Gefangener in Kosovo ein. Er war immer zur Stelle, wenn Fälle von Menschenrechtsverletzungen bekannt wurden. Er verfaßte Petitionen, Protestbriefe und fragte nicht, welcher Nationalität der Betroffene angehörte. Das machte ihn in ganz Jugoslawien populär.

Sein Roman Weit ist die Sonne war im titoistischen Jugoslawien an den Schulen Pflichtlektüre, für die literarische Fachwelt war er nach Ivo Andric zusammen mit Branko Copic der bedeutendste serbische Romancier. Und doch suchte Cosic auch immer die Nähe zur Macht und zu den Mächtigen. In den ersten Nachkriegsjahren holte ihn Tito ins kommunistische Politbüro, während der Studentenunruhen 1968 stellte er sich nicht auf seiten der Rebellen, jonglierte mit den Parteibonzen, und auch mit Milosevic stand er in einem „freundschaftlichen Verhältnis“, wie er selbst sagt. Er war es, der die Verhandlungen am Wochenende mit Milosevic führte, bei denen sicherlich über die Machtverteilung im neuen Staat gesprochen wurde. Der Repräsentant des Oppositionsbündnisses „Depos“ wurde Staatspräsident. Cosic ist Mitinitiator der „Demokratischen Bewegung Serbiens“, einem Sammelbündnis oppositioneller Parteien und gesellschaftlicher Organisationen, das sich Anfang des Monats zum Sturz Milosevics formierte und mit Streiks drohte, sollte sich „politisch keine Veränderung abzeichnen“. Inzwischen jedoch scheinen die Weichen neu gestellt. Selbst Oppositionsführer Vuk Draskovic sah gestern „positive Anzeichen“ und ließ landesweit angekündigte Großdemonstrationen für das kommende Wochenende kurzerhand absagen. Und die Studenten, die in Belgrad Universitätsgebäude besetzt halten, forderte er auf, den Protest einzustellen, da man nun „auf politischem Gebiet weiterkommen werde“. Diese Lösung könnte eine Regierung der nationalen Einheit sein, in der die Sozialisten und Oppositionsparteien gemeinsam die Regierungsgeschäfte Neu-Jugoslawiens übernehmen. Und das ist eine Aufgabe, die leicht scheitern kann: Zum einen radikalisieren sich Teile der Bevölkerung, wie die Studenten, zum anderen wird Milosevic bei diesem Regierungsplanspiel weiterhin als Präsident Serbiens eine enorme Macht in Händen halten.

Andererseits bleibt vollkommen ungeklärt, welche Politik gegenüber den eigenen Minderheiten im Lande, den Albanern, Muslimanen, Ungarn und Kroaten angenommen werden soll. Die Wahl Cosics kann als ein erstes Zeichen an die Welt gedacht sein, daß sich in Belgrad langsam etwas verändert. Ob aber der „Pazifist“ Cosic die Macht haben wird, den Krieg in Bosnien zu stoppen und die UNO-Sanktionen abzuschwächen, bleibt fraglich. Roland Hofwiler