Ein Tag der Emotionen in Südafrika

Am gestrigen „Soweto-Tag“ militante Rhetorik und gegenseitige Beschuldigungen  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Ein gelber Panzerwagen der Polizei fährt vor. Die Menge ist plötzlich in Bewegung, Menschen rennen auf die Polizei zu, einige bücken sich, um Steine zu greifen, andere wickeln in Decken versteckte Speere und Beile aus. Auf dem Wellblechdach der Schule springen Jungen auf, stampfen, fluchen auf die Polizei, lachen, brüllen, pfeifen.

Aber das Fahrzeug brummt unbeirrt vorbei. Kein Stein fliegt, keine Schußwaffe knallt. Die Leute drehen sich um, versuchen wieder zu hören, was Oliver Tambo, der ANC-Vorsitzende, bei der Kundgebung in der Mitte des Platzes in Orlando West, einem Stadtteil von Soweto, sagt.

Tambo sprach vor der Enthüllung eines Gedenksteines für Hector Peterson, den 13jährigen, der vor genau sechzehn Jahren bei den Schüler- Aufständen in Soweto als erster von der Polizei erschossen wurde. „Das Blut der jungen Helden und Heldinnen wurde von dieser Erde aufgesaugt, auf der wir stehen“, sagte Tambo. Der Sieg, den sie 1976 angstrebt hätten, stünde jetzt unmittelbar bevor. Aber, so der ehrwürdige ANC-Führer, die Regierung versuche jetzt, durch erneute Gewalt die Arbeit des ANC zu behindern.

Polizeiminister Hernus Kriel war da am Montag anderer Meinung gewesen: „Massenaktionen führen zu sinnloser Gewalt, Zerstörung von Leben und Besitz und zu weitverbreiteter Behinderung der Wirtschaft“, hatte er gewarnt. Dagegen konterte Cyril Ramaphosa, Generalsekretär des ANC: „Die Regierung versucht, die Emotionen in der Bevölkerung anzuheizen, was Gewaltausbrüche provozieren könnte.“

Ob von der Regierung angeheizt oder vom ANC provoziert — die Atmosphäre in Soweto, Johannesburg und großen Teilen Südafrikas war gestern gespannt. Wenn ANC-Anhänger am Rande der Gedenkfeier statt Flüchen Steine auf die Polizei geworfen hätten — auch Hunderte von uniformierten ANC-Ordnern, die für Ruhe und Disziplin sorgen sollten, hätten das kaum verhindern können. Aber der Tag verlief dennoch weitgehend friedlich, auch wenn die Polizei einmal in Soweto Gummigeschosse gegen steinewerfende Jugendliche einsetzte und in anderen Teilen des Landes vereinzelt Busse in Brand gesetzt wurden. In der Nacht zuvor war es zu politischen Gewaltakten in der Johannesburger Region gekommen, bei denen 27 Menschen starben. So wurde ein Minibus-Taxi und ein Bahnhof in Sebokeng mit automatischen Waffen beschossen; drei Mitglieder einer ANC-Patrouille starben im Township Evaton.

In der Region um Johannesburg streikten zum gestrigen Soweto-Tag über 90 Prozent aller schwarzen Arbeiter. Auch in der Hafenstadt Durban blieben mehr als 80 Prozent aller Schwarzen der Arbeit fern, während der Streik in Kapstadt zu etwa 60 Prozent befolgt wurde. Für den ANC war es ein gelungener Auftakt zu einer Protestwelle, die bis Mitte August andauern soll. Ziel der Kampagne ist es, die Regierung zur endgültigen Übergabe der Macht an die schwarze Mehrheit zu zwingen. In Soweto war am Dienstag deutlich, daß der ANC mit seiner Kampagne die militante Stimmung unter seinen Anhängern richtig getroffen hatte. ANC-Präsident Nelson Mandela, der nach der Enthüllung des Gedenksteines einen Marsch durch Soweto führte, wurde im Orlando-Stadion von etwa 30.000 Menschen mit donnerndem Applaus und einem an Verherrlichung grenzenden Jubel begrüßt.

Genau diese Mobilisierung der schwarzen Bevölkerung hält die Regierung für das wirkliche Ziel der ANC-Kampagne. Der ANC wolle gar nicht ernsthaft verhandeln, sagte Verfassungsminister Roelf Meyer am Montag, sondern seine Machtbasis in der Bevölkerung ausbauen. Meyer sprach, nachdem auch die jüngste Runde der seit Wochen festgefahrenen Verhandlungen am Montag keine Fortschritte erzielt hatte. Ramaphosa dazu: „Die Regierung ist fest entschlossen, solange wie möglich an der Macht festzuhalten.“