Litauen versinkt im Korruptionssumpf

Illegale Giftmüllimporte, Schmuggel und dubiose Investoren heizen Wirtschaftskriminalität kräftig an  ■ Aus Vilnius Klaus Bachmann

„In Litauen findet zur Zeit eine Räuberei wie nie zuvor statt.“ Zu diesem erschreckenden Schluß gelangte Mitte Mai eine Konferenz der Polizei-Gebietskommissare mit dem Innenministerium in der litauischen Hauptstadt. Im Rahmen der Privatisierung, so die Teilnehmer einhellig, verschwänden massenweise Traktoren, Mähdrescher und andere Maschinen aus den Kolchosen, selbst das „lebende Inventar“, der Tierbestand, nehme mit atemberaubender Geschwindigkeit ab. Die Behörden seien kaum in der Lage, dem Einhalt zu gebieten, weil es ihnen Buch- und Steuerprüfern mangelt. Doch wie der steigenden Wirtschaftskriminalität beizukommen ist, darüber herrsche auch unter den Konferenzteilnehmern Ratlosigkeit.

Um zu verhindern, daß litauische Betriebe von der sowjetischen Mafia oder anderen dubiosen Geschäftemachern aufgekauft werden, wurde bereits die Summe, für die Aktien privatisierter Betriebe gekauft werden können, strikt begrenzt. 5.000 Rubel erhält jede Bürger in Form von Bons, darüber hinaus kann er bis zu 40.000 Rubel Erspartes anlegen. Um sich weitere Anteile zu verschaffen, müssen sich Geschäftemacher schon mit Verwandten oder Freunden zusammentun. Es habe, so erklärt ein hoher Beamter des Finanzministeriums, bereits eine Reihe von Fällen gegeben, in denen Firmen und Einzelpersonen versucht hätten, Betriebe mit Hilfe litauischer Strohmänner aufzukaufen.

Die Wirtschaftskriminalität boomt. Es gibt kaum eine Privatfirma, die nicht versucht, Steuern zu hinterziehen — was allerdings auch mit der in Litauen ungewöhnlich hohen Steuerlast zu erklären ist. „Das geht manchmal bis zu 80 Prozent des Betriebsgewinns“, beklagt sich ein Unternehmer. Hinzu kommen gewisse „informelle Abgaben“. Wie diese aussehen, erklärt Algirdas W., der einen privaten Außenhandelsbetrieb betreibt: „Da kommt ein Beamter der Steuerprüfung zu mir und erzählt, er müsse nächste Woche eine dringende Auslandsreise machen. Dazu brauche er unbedingt ein paar tausend Dollar, die er nirgends auftreiben könne.“ Algirdas weiß, was das heißt: „Entweder ich leihe ihm die Devisen, oder es ist eine besonders penible Steuerprüfung fällig.“ Als nächstes kommt dann jemand vom Finanzamt, von der Gemeindeverwaltung, von der Post — und alle müssen dringend ins Ausland und brauchen Geld. Die Aufklärungsrate solcher Delikte, gibt Generalkomissar Liubertas zu, sei gering. Gerade zehn Prozent aller Fälle schätzt Litauens oberster Polizist, könnten überhaupt geahndet werden.

Ein Großteil der litauischen Wirtschaftskriminalität ist indessen importiert. Korrupte Grenzbeamte sind geradezu eine Einladung für Schmuggler — ganz gleich, ob dabei Buntmetalle, Bodenschätze oder strategische Güter außer Landes geschafft werden. Aber auch der illegale Import floriert: So wird beispielsweise tonnenweise Giftmüll ins Land geschafft. Nachdem Polen seine Grenzen für Müllimporte immer mehr dichtmacht, haben sich viele internationale Müllhändler inzwischen der Baltenrepublik zugewandt. Flüssige Industrieabfälle bot nach Informationen des litauischen Umweltministeriums etwa eine Eco Energy SA aus Westindien, mit Niederlassung in der Schweiz und den USA, dem Kraftwerk Electrenai an. Eine deutsch-russische Firma wollte dagegen alte Transformatorenöle loswerden. Alle Angebote wurden bisher vom Umweltministerium abgelehnt. Vizeminister Vebra: „Litauen hat zwar wenig Devisen, aber wir werden uns für ein paar Dollar nicht ökologische Sprengsätze ins Land holen.“ Seit Januar sind Müllimporte gesetzlich verboten. Ein litauischer Insider ist sich sicher, daß trotzdem fleißig importiert wird: „In diesem Geschäft geht es um zu viel Geld, als daß sich das Problem mit einem Verbot erledigen ließe.“

Auch andere dubiose Investoren suchen Litauen inzwischen heim. So etwa eine britische Firma namens Miss Beauty of the World, die in Vilnius ein Spielcasino, im nordlitauischen Siauliai ein Vergnügungscenter und weitere Spielhöllen in Krasnodar und Armenien aufstellen will. Nach Informationen der Staatsanwaltschaft läuft gegen den Geschäftsführer der Firma bereits ein Ermittlungsverfahren. Es ist nicht das erste: In Polen mußte die Firma aufgeben, nachdem sie dort unter den Augen der Behörden monatelang illegal in Mazuren ein Casino betrieben hatte.