Wie Stasi-Unrecht durch Gesetz bereinigt wird

Heute will der Bundestag das „Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz“ verabschieden/ Die Opfer protestieren  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Ein Lautsprecherwagen steht auf dem Alexanderplatz. Um ihn herum stehen etwa hundert Frauen, Männer, fast keiner ist unter sechzig Jahre alt. Sie halten Transparente, verteilen Flugblätter, aber von den Passanten will sie keiner haben. Sie erinnern an eine Zeit, die viele vergessen wollen — an die stalinistischen Internierungslager, an den Gulag, an die Gefängnisjahre in Hohenschönhausen oder Bautzen. „Wir brauchen uns nicht zu schämen, daß wir so wenig sind“, ruft Peter Alexander Hussock (51) von der Opfer- Hilfsorganisation „HELP“, „die ehemals politisch Verfolgten des SED-Regimes haben eben kein Geld, um auf ihr Leid aufmerksam zu machen.“ Und eine Lobby auch nicht, hätte er hinzufügen können.

Die Demonstranten sind zusammengekommen, um gegen neues Unrecht zu protestieren. Heute passiert im Bundestag in letzter Lesung der Entwurf des „Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes“ (UBG). Am 10. Juli soll es dann vom Bundesrat verabschiedet werden. Schon alleine der Name UBG empört die einst Repressierten. Als ob man Unrecht durch ein Gesetz bereinigen könne. Denn nur um Geld und nicht um eine nachträgliche Anerkennung als Widerstandskämpfer oder um eine moralische Rehabilitation geht es in diesem Gesetz. Der Entwurf regelt nur, in welcher Form und in welcher Höhe die Justizopfer der SED-Herrschaft zu entschädigen sind — mit 10 Mark pro Hafttag. Also mit 300 Mark pro Monat.

Das ist eine Summe, die die Betroffenen empört und gegen die sie in vielen Demonstrationen und Hearings protestierten. Ein „Almosengesetz“ sei es, sagt der Vorsitzende der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“, Richard Knöchel. Die absolute Untergrenze müsse pro Haftmonat mindestens 600 Mark betragen. Das entspräche genau der Summe, die unschuldig verurteilte pro Monat erhalten. Die politisch Verfolgten würden durch das UBG schlechter gestellt werden als alle Opfer von Justizirrtümern. Sollte das UBG in der geplanten Form verabschiedet werden, überlege man deshalb, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Aber nicht nur die geplante „Entschädigungssumme“ bringt die ehemals Verfolgten auf die Palme. Im UBG werden ganze Gruppen ausgegrenzt. Nicht berücksichtigt sind die SED-Opfer, die zwangsweise aus ihren Wohnorten entlang der innerdeutschen Grenze ausgesiedelt wurden. Mit keinem Pfennig entschädigt werden die Menschen, die vor 1949 von den Sowjets nach Sibirien deportiert wurden und die nach ihrer Rückkehr in die DDR mit Arbeitsverbot belegt wurden. „Wer die Täter nach einer zusammengebrochenen Diktatur nicht bestraft und die Opfer nicht großzügig entschädigt“, zitiert Hussock den Schriftsteller Thomas Mann, „begeht eine neue Form von Unrecht.“ Diesmal beschlossen am 17. Juni, dem ehemaligen Tag der Deutschen Einheit.