Freispruch für Manfred Stolpe

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses spricht den Brandenburger Ministerpräsidenten vom Vorwurf der Stasi-Zuarbeit frei/ Die Aussagen der Stasi-Offiziere wurden unkritisch gewürdigt  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Der Freispruch für Manfred Stolpe ist etwas schwerfällig formuliert: „Bei einer angemessenen Interpretation aller beweisrelevanten Sachverhalte verlieren die in den Akten enthaltenen Indizien, die für eine Bereitschaft des Zeugen Dr. Stolpe sprechen könnten, inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet zu haben, den für die Aufrechterhaltung dieses Vorwurfes erforderlichen Beweiswert.“

Wenn sich morgen die Abgeordneten des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Potsdam zu ihrer 13. Sitzung hinter verschlossenen Türen zusammensetzen, wird ihnen der Ausschußvorsitzende Lothar Bisky (PDS-LL) seinen Entwurf für einen Zwischenbericht präsentieren. Dessen Kernthese lautet, „daß Manfred Stolpe zu keiner Zeit bereit war, im Rahmen seiner kirchlichen Tätigkeit inoffiziell mit dem MfS zusammenzuarbeiten“.

Unbestritten ist, schreibt Bisky in dem 32seitigen Entwurf, der im Ausschuß mit den Stimmen von SPD, FDP und PDS angefordert wurde, daß Manfred Stolpe „zeitlich und sachlich umfangreiche Gesprächskontakte mit dem MfS hatte und in den Akten als IM ,Sekretär‘ registriert war“. Während die Gauck- Behörde in einem umfangreichen Recherchebericht dem Ausschuß mitteilte, Stolpe sei „nach den Maßstäben des MfS über einen Zeitraum von 20 Jahren ein wichtiger IM im Bereich der evangelichen Kirchen der DDR“ gewesen, folgt der Entwurf Biskys über weite Passagen den Zeugenaussagen der früheren Stasi- Offiziere Franz Sgraja, Joachim Wiegand und Klaus Roßberg. Vor dem Ausschuß hatten die drei einmütig erklärt, daß „an einer inoffiziellen Mitarbeit Dr. Stolpes kein Interesse bestanden habe“.

Biskys Vorlage räumt zwar ein, „daß das MfS in vielfacher Hinsicht mit Dr. Stolpe gesprochen und verhandelt und dabei selbstverständlich besonders verwertungsbedürftige Informationen zu kirchlichen Anliegen und Problemen erhalten hat“. Die in den Akten vorgefundene Registrierung Stolpes als „IM“ wird aber mit der „naheliegenden Annahme“ erklärt, daß sich die für den Kirchenbereich zuständige Hauptabteilung „veranlaßt sah, auch solche Personen als IM zu registrieren, die der Abteilung als zuverlässige Verhandlungspartner zur Verfügung standen“. Zwar habe es für diese Form der Registrierung keine „formalisierte Sonderregelung“ gegeben — wegen der Bedeutung der Kontakte sei dennoch so verfahren worden, „selbst wenn sie (die Verhandlungspartner, d.Red.) sich keineswegs zur Übernahme konspirativer Aufträge bereit erklärt hatten“.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, hatte am 28. April vor dem Ausschuß die Recherchen seiner Behörde verteidigt. Als „bemerkenswert“ und für die Beurteilung einer möglichen IM-Tätigkeit Stolpes wichtig hatte er angeführt:

— die ungewöhnlich engen Zeiträume zwischen Ereignis und Information des MfS, unter Berufung auf die Quelle IM Sekretär,

— den hohen Prozentsatz der Informationen, die an die Führungsgremien von Stasi und SED weitergeleitet wurden

— und die Treffen in einer konspirativen Wohnung, die aus der Sicht der Stasi die Bereitschaft zur Konspiration und die Verläßlichkeit der Verbindung dokumentiert hätten.

Der Ausschußvorsitzende sieht diese Verdachtsmomente aufgrund der Zeugenaussagen widerlegt. Die Treffen in einer konspirativen Wohnung wertet er zwar als „gewichtiges Indiz“. Der Rückschluß auf eine inoffizielle Tätigkeit Stolpes läßt sich für ihn daraus aber nicht ableiten. Stolpe habe schließlich einen Verhandlungsauftrag der Kirche gehabt, „der derartige Treffen nicht ausschloß“.

In der abschließenden Zusammenfassung resümiert Bisky: Der Ausschuß habe vor der Entscheidung gestanden, ob er uneingeschränkt der Aktenlage folgen solle. Deren Beweiswert sei zwar nicht unerheblich, sie könne aber „nicht als ohne weiteres und uneingeschränkt gegeben anerkannt werden“. Eine kritische Würdigung der Aussagen der Stasi-Offiziere findet sich im Ausschußresümee dagegen nicht.

Vor dem achtköpfigen Gremium hatten die früheren Offiziere eingeräumt, sich vor ihren Aussagen abgesprochen zu haben. Die „spezielle Interessenlage des MfS“ spreche aber gegen die Annahme, schlußfolgert Bisky aus den Aussagen der Ex- Offiziere, „die Zeugen Sgraja, Wiegand und Roßberg hätten sich insofern zu einer wahrheitswidrigen Aussage verabredet“.