Promiskuität macht Schwulen Probleme

■ Im Café Rosa diskutierten Männer über die »Lebensweise promisk schwul«/ Statt Sextips auszutauschen, schwörten die Gäste auf die Zweierkiste/ Klappen und Darkrooms »als letzter Ausweg«/ »Ich schäme mich, nur abgespritzt zu haben«

Mitte. Das einzige, was Schwule von heterosexuellen Männern unterscheidet, ist die Möglichkeit, jederzeit anonymen Sex zu haben — in öffentlichen Bedürfnisanstalten und Darkrooms, in Parks und Saunen. Um diesen Grundbestandteil der schwulen Identität mal wieder zu bestärken, lud das Café Rosa des lesbisch-schwulen Jugendnetzwerks »Lambda« am Dienstag zur Diskussion über »Lebensweisen: promisk schwul«.

Damit die Gäste ungeniert von ihren Abenteuern plaudern, mußten Heteros, Lesben und Heteras draußen bleiben. Eine Ausnahmegenehmigung erteilte Café-Rosa-Moderator Jean-Jacques Soukup lediglich dem Schriftsteller Burkhard Schröder, der trotz Lehrjahren in der Männerbewegung vom anderen Geschlecht nicht lassen kann.

Mit seinem Erlebnisbericht aus den Orgien- und Pornoräumen einer Schwulensauna streichelte Schröder zu Beginn den schwulen Stolz. Obwohl er genau zugeguckt habe, habe er die nonverbalen Anmachregeln der Schwulen nicht kapiert. Schröders Fazit: »Jeder Hetero würde es absolut toll finden, wenn es für ihn auch einen Darkroom geben würde.«

»Ich habe meine Partnerschaft verloren, weil ich in die Sauna gegangen bin«, jammerte dagegen ein schwuler Zuhörer und hielt ein Loblied auf die treue Zweisamkeit. Ein anderer Gast schämte sich, »im Darkroom einfach nur abgespritzt« zu haben. Vom einem Callboy wurde hingegen beklagt, daß Darkroom und Klappe von Schwulen nur noch »als letzter Ausweg« besucht würden, nämlich dann, wenn sie anderswo keinen abbekämen oder zu feige seien, jemanden anzusprechen.

Noch mehr Probleme als die promisken Möglichkeiten scheint Schwulen jedoch die Zuverlässigkeit zu bereiten — von fünf geladenen Podiumsgästen war nur ein einziger erschienen. Der verstörte Moderator nutzte nicht seine Chance, auf die zahlreichen Experten im Publikum zurückzugreifen, sondern erteilte Schröder und schwulen Skeptikern weiterhin das Wort. Jene begannen, den »negativ besetzten« Begriff »Promiskuität« an sich zu hinterfragen. Selbst Christian Pulz, linker Berufshomo im Rathaus Schöneberg, wollte sich von der »Bezeichnung aus der heterosexuellen Moral« verabschieden. Ein Zuhörer wollte wissen, ob er auch dann zu den Promisken zähle, wenn er jemanden mit der Hoffnung auf eine feste Partnerschaft abschleppe.

»Ich habe gedacht, hier bekomme ich Tips, wo in Ost-Berlin neue Klappen aufgemacht werden«, zeigte sich das Westberliner Bewegungsfossil Joachim Müller am Rande der Diskussion enttäuscht. Den einzigen praktischen Hinweis steuerte Claus Nachtwey vom gleichgeschlechtlichen Senatsreferat bei. Er überbrachte die frohe Botschaft, daß in Berlins Straßen keine weiteren sexfeindlichen Automatiktoiletten aufgestellt würden. Als Beleg zitierte Nachtwey ein Gutachten der Stadtreinigung, nach dem der Betrieb einer herkömmlichen Klappe 13.500 Mark jährlich koste, der eines privaten Automatik-WCs hingegen 42.000 Mark.

Als sich Moderator Jean-Jacques Soukup nach zwei Stunden Diskussion seiner Funktion entsann und eine Pause anordnete, nutzten die Mehrzahl der Gäste inklusive Autor die Unterbrechung, um von der problembeladenen Theorie zur erquickenderen Praxis zu gelangen — in den Büschen des nahe gelegenen Volksparks Friedrichshain wurde der mißglückte Abend doch noch ganz nett. Micha Schulze