Ort der Wahrheit

■ »Zeit der Tiere«: Die Tiermedizin der Humboldt-Universität ist eine Ausstellung geworden

Als Industrie und Wissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts sich im Aufbruch befanden, dichtete Friedrich Rückert: »Ich bin der Welt abhanden gekommen«. Im Zuge der informationstechnischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts hat sich die Kunsttheorie darauf verlegt zu bedenken, wie die Kunst einer abhanden gekommenen Realität begegnet.

Im Falle der Ausstellung Zeit der Tiere, A space without Art ist der Bezug auf die Theorie nur dezent, eher ahnungsweise oder spontan subjektiv gestört. Klara Wallner, die Organisatorin der Ausstellung, hat sich wie so viele andere aus dem Westen in den Osten Kommende, von dem dort zu Entdeckenden faszinieren lassen. Nach der Zeitpumpe/Pumpenfabrik ist jetzt das Areal des Instituts für Veterinärmedizin an der Humboldt- Universität zu sehen. In die »Zeit der Tiere« sind ihr als Künstler Marina Abramovic, Fritz Balthaus, (e.) Twin Gabriel, Viva Lewandowsky, Fritz Rahmann und Eran Schaerf gefolgt.

»A space without Art« ist wörtlich zu nehmen — das Deutsche hat diese schöne Formulierung nicht zu bieten. Der Ort stellt sich selbst aus. Die Künstler sind nur mit ihren Namen beteiligt. Anders als Duchamp, der etwa 1917 das New Yorker Woolworth Building als Readymade projektierte, signieren sie nicht, sondern distanzieren sich in namentlich gekennzeichneten Katalogtexten. Es geht nicht um den Akt, etwas zum Kunstwerk zu erklären. Der Ort formuliert — sich selbst überlassen — seine eigene Ästhetik.

Unweit der Friedrichstraße liegt — Jahrhunderte entrückt — das parkähnliche Gelände. Die unter Denkmalschutz gestellte, heute umgenutzte Zootomie in einem 1890 aufgeführten Gebäude nach Langhans-Plänen erinnert an die Zeit, als Wissenschaft noch mit Sichtbarkeit befaßt war. Die im steil aufsteigenden Rund angeordneten Sitzbänke des Amphitheaters umringen einen kreisförmigen Platz, wo früher auf einer Hebebühne Tierkadaver seziert wurden. Darüber Fresken von Hirten als idyllische Heroen, zwischen Festons tragenden Schädeln, die mit falschen Zähnen grinsen. Die flache Kugel der Decke wird in Trompe-l'oeil-Malerei zum riesigen, laubenartigen Gewölbe. Nicht weniger ansehnlich ist das Äußere. Ein späterer Anbau zerstörte allerdings den symmetrischen Aufbau eines griechischen Kreuzes, das den Ort der Wahrheitssuche nobilitiert hatte. Nur von außen sehenswert ist das heutige Hauptgebäude, nach Plänen Schinkels erbaut.

Neben den architektonischen Sehenswürdigkeiten sind als Einrichtungen die Lehrschmiede, die Abteilung für Innere Medizin und die Präparatesammlung zu betrachten. In der Lehrschmiede ist nur der Raum, wo die Pferde beschlagen werden, geöffnet. Daß hier den motorisierten, und glasfaserverkabelten Zeitgenossen Phantasien poetischer Qualität befallen, kann nicht ausbleiben. Etwas nüchterner ist die Internistische Abteilung. Tiere sind eben auch nur Menschen, die ärztlicher Sorge bedürfen. Eine Brechung erfährt diese Nüchternheit durch die Zusatzfunktion des Lehrbetriebes. Sehenswerte Schaukästen bergen rätselhaftes Instrumentarium und Preziosen, wie den gigantischen Magenstein eines Pferdes. Für viele wird der absolute Höhepunkt die Präparatesammlung der »vergleichenden Mißgeburtenlehre« sein. Die in Alkohol eingelegte Seligkeit niemals zur Welt gekommener Mißgestalten führt den Lebenden vor, was sie versäumt haben. Lächelnd tanzend oder wie kleine Buddhas meditierend, schwimmen die Embryonen siamesischer Zwillingsschafe — auch ein kleines Menschentier — in ihren Glasgefäßen. Der arme Besucher aber muß sich an solche Größen halten, wie das Skelett des Condé, Lieblingspferd Friedrich II, im nächsten Raum.

Die künstlerische Absicht dieser Demonstration eines Ortes ist inzwischen von der politischen Realität überholt. Der Fachbereich Tiermedizin an der Humboldt-Universität wird abgewickelt, um an die FU, nach Düppel überzusiedeln. Der Blick auf die Qualität des dort noch Funktionierenden ist — egal ob kritisch oder fasziniert — allein durch die Entscheidung des Senats schon ein sentimentaler und musealer. Ulmann-R. Hakert

Veterinärmedizinische Fakultät der Humboldt-Universität, Philippstraße 13. Räume: Di.-Do. 14-18 Uhr. Gelände Mo.-So. 14-18 Uhr. Bis zum 3. Juli.