STANDBILD
: Befriedigungseinrichtung

■ Der heiße Stuhl, RTLplus, Di., 22 Uhr

Pro und Contra, Talk im Turm, Doppelpunkt, Einspruch, Der heiße Stuhl und wie sie sonst alle heißen: Diskussionssendungen haben offenbar Konjunktur. Nie zuvor ist im deutschen Fernsehen so viel und ausgiebig disputiert, polemisiert und argumentiert worden wie zur Zeit. Ob wir es nur der Vermehrung der Kanäle oder einem tatsächlichen Bedarf danken, sei dahingestellt. Auch wag' ich nicht zu hoffen, daß diese rhetorischen Klippschulen, wo sich Hinz und Kunz, Promis und Profis coram publico das Mundwerk fusselig reden, Ausdruck einer neuen Streitkultur sein sollen. Wenn schon nicht Kultur, Spannung tut's auch: Der Streit um brisante Themen lockt doch immer wieder mit der Aussicht auf Skandale und Eklats. Das wissen auch die Leute von Explosiv und haben sich so — nach dem publicitywirksamen Praunheim-Auftritt — gleich ans nächste Homo-Thema gemacht: die Ehe für Schwule und Lesben. Auf dem heißen Stuhl grillte dazu Volker Beck, Grüner und Sprecher des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD). Beck argumentierte — wie zu erwarten — überzeugend und sachlich für eine Legalisierung der Homo-Ehe als Gleichberechtigung von hetero- und homosexuellen Lebensgemeinschaften. Wirklich erschütternd aber waren die Einwürfe der Gegenparteien. Ein katholischer Psychiater sah das „Institut der Ehe“ zu einer „Spaßveranstaltung“ verkommen, ja er warf Beck gar vor, er wolle daraus eine „Triebbefriedigungseinrichtung mit Steuervergünstigung“ machen. Ein krachledernes JU-Maderl posaunte was von „Anormalität“, denn Homos seien ja „weg von der Norm“, und dies sei für Kinder äußerst schädlich. Und die CDU-Mutti Erika Steinbach entblödete sich nicht, vor aller Ohren zum 1.000sten Mal das Loblied der Normalität zu singen. Nebenbei bezeichnete sie Homos als „Ausrutscher der Natur“ und rettete sich, wo alle Stricke rissen, in die Biologie, „schließlich geht es ja um die Fortpflanzung“. Mühsam zusammengehalten wurde das Gezeter vom schalterbeamtenhaften Diskussionsleiter Olaf Kracht, der mit blasierter Dompteursmiene und mintgrünem Zweireiher beschwichtigend durchs Studio schlich. Ein schüchterner Verfassungsrechtler blieb trotzdem stumm. Die originellste Gegenposition kam übrigens vom grünen Schwulen Albert Eckert. Er sprach sich schlicht für die generelle Abschaffung der Ehe aus. Dann ginge es uns allen besser, egal ob homo oder hetero oder sonstwo. Irgenwann dann drehte sich die Diskussion nur noch im Kreis. Stimmen legten sich über Stimmen, das Publikum johlte und pfiff. Kurzum: der Zirkus lief auf vollen Touren, und wären da nicht die Werbeblöcke, so hätte es grad' ewig traurig so weiter gehen können. Martin Muser