Keine Bahn von Ost nach West

Ost-Berlin: Beschäftigte des öffentlichen Dienstes streikten, da ihnen die Anhebung ihrer Löhne auf 80 Prozent des Westniveaus zu spät kommt/ Alleingang des Berliner Senats sorgt für heftige Kritik  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

In Ost-Berlin standen gestern vormittag alle U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen still. Mit einer spontanen Arbeitsniederlegung protestierten rund 5.000 Beschäftigte der Verkehrsbetriebe gegen den jüngsten Tarifabschluß für den öffentlichen Dienst in den neuen fünf Bundesländern. Die Aktion löste beim Berliner Senat Unmut aus, hatte dieser sich doch am Dienstag dazu entschlossen, die Tarife für die 170.000 Beschäftigen des öffentlichen Dienstes im Osteil der Stadt bereits zum 1. Oktober auf 80 Prozent des Westniveaus anzuheben, neun Monate früher als in den neuen Bundesländern. Der Senat riskiert mit diesem Alleingang einen handfesten Konflikt mit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL). Über die Sanktionen gegen Berlin will die TdL am 25. Juni beraten.

Daß sie besser gestellt sind als ihre Kollegen in den neuen Bundesländern ist den Beschäftigten des Ostberliner öffentlichen Dienstes jedoch nicht genug. Sie wollen die Anhebung der Löhne rückwirkend zum 1. Mai und berufen sich auf frühere Zusagen des Senats. Mehere hundert Streikende zogen gestern vor das Rote Rathaus, um den Senat an „sein Versprechen“ zu erinnern. Der Regierende Bürgermeister Diepgen wurde mit einem lauten Pfeifkonzert begrüßt. In einer kurzen Ansprache bezeichnete Diepgen die Möglichkeiten des Senats als erschöpft und bestritt, daß dieser eine Anhebung der Osttarife auf 80 Prozent der Westeinkommen früher als zum 1. Oktober versprochen habe. Der Berliner ÖTV-Landeschef Kurt Lange weiß es besser: Am 15. März, so Lange gegenüber der taz, habe Innensenator Heckelmann (CDU) beim Tag der offenen Tür im Roten Rathaus erklärt, er wolle „bis an die Grenze des Rausschmisses“ aus der TdL gehen, um eine Angleichung der Tariflöhne Ost auf 80 Prozent des Westniveaus durchzusetzen. „Sie soll ab 1. Mai für Angestellte im öffentlichen Dienst aus dem Ostteil der Stadt gelten“, zitierte Lange Innensenator Heckelmann unter Berufung auf den Bericht einer Berliner Tageszeitung.

Nachdem eine ÖTV-Delegation mit Diepgen ausgehandelt hatte, daß eine frühere Anhebung auf 80 Prozent noch einmal von Innensenator Heckelmann geprüft werden solle, wurde der Arbeitskampf gestern mittag zunächst einmal abgeblasen. Kommentare der Versammlten wie „Das ist doch die reinste Verarschung“ — „Wir werden hier doch von vorn bis hinten beschissen“, sprachen jedoch für sich. Gegenüber den Beschäftigten in den neuen Bundesländern fühlen sie sich nicht bevorteilt. Schließlich gäbe es Untersuchungen, wonach die Mieten und Heizkosten in Berlin 25 Prozent teurer als im Umland seien. ÖTV-Chef Lange hält weitere spontane Arbeitsniederlegungen in den kommenden Tagen durchaus für denkbar, wenn bei den Gesprächen mit Innensenator Heckelmann „nichts herauskommt“. Eine Anhebung auf 80 Prozent rückwirkend zum 1. Mai sei vermutlich nicht durchsetzbar, aber ein „früherer Zeitpunkt muß es schon sein“, gab sich Lange sybillinisch.