INTERVIEW
: „Ich bestehe auf vollkommener Nichtanerkennung des irakischen Regimes“

■ Ein Gespräch mit Kanaan Makiya, als irakischer Oppositioneller unter dem Pseudonym Samir al-Khalil bekannt/ Er ist Delegierter des „Irakischen Nationalkongresses“

Kanaan Makiya verließ 1968 den Irak und kehrte aus politischen Gründen nicht zurück. Sein Buch „Republic of Fear“ machte ihn international bekannt. Nach dem Ende des zweiten Golfkrieges sammelte er im kurdisch kontrollierten Nordirak Beweismaterial über eine „Anfal“ genannte systematische Vernichtungskampagne gegen die Kurden, die 1988 von der irakischen Führung organisiert wurde (siehe taz vom 17.1.92). Er lebt in den USA und ist Mitinitiator der „Charta 91“ für einen demokratischen Irak.

taz: Wann werden Sie in den Irak zurückkehren können? Wann wird Saddam Hussein gestürzt sein?

Kanaan Makiya: Ich weiß es nicht. In der Politik sollte man nie Voraussagen machen. Saddam Husseins Regime verrottet, aber ich weiß nicht, wie lange das noch dauern wird. Vieles hängt davon ab, ob es der irakischen Opposition gelingt, eine glaubwürdige Alternative zu bieten. Die Schwäche des Regimes ist nicht zu bezweifeln, aber die Kraft der Opposition. Darum sind wir hier.

Warum ist der verhaßteste politische Führer der Welt ein Jahr nach dem Golfkrieg noch an der Macht?

Weil man ihn nach dem Krieg an der Macht gelassen hat. Die Republikanischen Garden, seine stärksten Militäreinheiten, wurden verschont. Sie haben anschließend die Aufstände der Iraker niedergeschlagen. Besonders im Zentrum und im Süden des Landes waren die Folgen entsetzlich. Zum Glück gelang es dem Norden, sich abzuspalten. In Nadschaf und Kerbala ließ Saddam das gleiche anrichten, wie Hafiz al-Assad in Hama. [In Hama ließ der syrische Präsident 1984 einen Aufstand niederschlagen. Zwischen 15.000 und 30.000 Menschen wurden getötet. Anm.d.Red.] Die Massaker der irakischen Armee an den Aufständischen waren darauf angelegt, die Hoffnung der Bevölkerung, die wichtigste Kraft für Veränderungen, zu zerstören. Diese Hoffnungslosigkeit hält Saddam Hussein an der Macht, obwohl ihn jeder haßt. Es gibt Gebiete, in die sich niemand mehr hineintraut. Dreißig Prozent des Landes sind in kurdischer Hand. Die Armee ist demoralisiert. Saddams Macht basiert nicht mehr auf organisierter Autorität, sondern auf einem Zirkel ihn umgebender Wanzen. Um ihn zu stürzen, muß die Opposition den Irakern eine glaubwürdige Alternative bieten.

Dieser Kongreß soll die Opposition einigen...

Ja. Aber wichtiger als Einigung ist nach meiner Meinung — andere mögen da widersprechen —, daß wir eine demokratische Alternative bilden. Der wichtigste Grund für mich, hierher zu reisen, war die Tatsache, daß dieser Kongreß von den irakischen Nachbarstaaten, Iran, Syrien und Saudi-Arabien boykottiert wurde. Meiner Meinung nach verleiht das dem Kongreß gegenüber den Irakern besondere Glaubwürdigkeit. Es ist der einzigartige Versuch, eine demokratische Alternative für den Irak zu bieten. Ich bin froh, wenn soviele Gruppen wie möglich daran teilnehmen und wenn er sich als ein Pol in der irakischen politischen Szene etabliert. Es gibt schon andere Pole, einen islamischen, einen nationalistischen usw. Aber dieser Kongreß könnte in der Lage sein, den Irak zu repräsentieren und auf eine demokratische Zukunft hinzuarbeiten. Natürlich möchte ich, daß alle Kräfte daran beteiligt sind. Viele sind ja auch gekommen. Einige Gruppen, die ihre Büros in den USA haben, boykottieren den Kongreß — aus welchen Gründen auch immer. Einige islamische Gruppen kamen nicht. Leider.

Also die von Teheran unterstützten Gruppen?

Sie kamen nicht und einige Gruppen mit Rückhalt aus Saudi-Arabien blieben ebenfalls fern.

Welchen Einfluß hätte eine Demokratisierung des Irak auf die gesamte Region?

Wenn es tatsächlich ein demokratisches Modell wäre und nicht nur ein Deckmantel, könnte es die Region wirklich verändern.

Das wäre eine Bedrohung für die Nachbar-Regimes.

Ja, deshalb lehnen sie diese Konferenz ab.

Ist eine Verständigung zwischen allen Oppositionsgruppen, Schiiten, Sunniten, Kurden, Baathisten, Kommunisten, Nationalisten, Panarabisten, denkbar?

Ich denke, es ist den Versuch wert. Es gibt praktisch keinen Staat, in dem Totalitarismus und Absolutismus so offensichtlich sind wie im Irak. Dieser enorme Druck könnte für die Iraker nebensächlich werden lassen, welcher Bevölkerungsgruppe sie angehören. Es könnte gerade diese Unterdrückung sein, die zur Einheit führt.

Welche internationale Unterstützung erwarten sie, vor allem von den Golfkriegs-Allierten und der UNO?

Ich möchte, daß sie die Ergebnisse dieser Konferenz ernst nehmen und die Führung, die daraus hoffentlich hervorgeht, als Ansprechpartner akzeptieren.

Sollen sie sie als vorläufige Regierung anerkennen?

Sie sollen diese Führung als Ansprechpartner akzeptieren, als Organ der Opposition. Das würde dem Regime seine Illegitimität signalisieren. Es sollte absolut klar sein, daß dieses Regime in Bagdad seine internationale Anerkennung nicht schleichend wiedererlangen darf. Dieser Kongreß wird auch fordern, daß sich die irakische Führung vor dem Weltgerichtshof verantworten muß. Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht aus den inneren Angelegenheiten des Irak heraushalten. Ich fordere im Gegenteil größeres Engagement. Nicht, indem sie die irakische Bevölkerung hungern läßt, sondern indem sie die Vorgänge im Irak kontrolliert.

Fordern Sie also das Ende des UN-Embargos?

Ich fordere eine Veränderung des Embargos. Von der UNO eingestellte Iraker sollten die irakische Bevölkerung versorgen. Die Mittel dürfen nicht durch die Hände des Regimes wandern — dies würde es nur stärken. Ich bestehe auf der hundertprozentigen Nichtanerkennung des Regimes. Interview: Thomas Dreger