Saddams Gegner haben ehrgeizige Ziele

Das Festhalten an der staatlichen Integrität des Irak ist der gemeinsame Nenner des in Wien versammelten „Nationalkongresses“ der Opposition/ Wichtige Gruppen fehlen/ Keine Exilregierung geplant  ■ Aus Wien Thomas Dreger

Der Blick von der Hotelterrasse weckt Illusionen, die Phantasie schweift: Der breite Fluß könnte der Tigris sein, die Stadtsilhouette regt Vergleiche mit Bagdad an. Dabei haben die Veranstalter des „irakischen Nationalkongresses“ in Wien den Versammlungsort vor allem aus Sicherheitsgründen gewählt. Das Nobelhotel am Ufer der Donau gleicht einem Bunker. Von der Terrasse aus suchen schwer bewaffnete Polizisten mit Feldstechern das gegenüberliegende Ufer ab. Auch das erinnert an Bagdad.

Über 200 Delegierte rund 30 verschiedener irakischer Oppositionsgruppen tagen von Mittwoch bis Freitag in der österreichischen Hauptstadt. Bei allen politischen, religösen und ethnischen Differenzen ist den Rednern eines gemeinsam: Das Bekenntnis zur staatlichen Integrität des Irak. Sie haben in Erinnerung, wie George Bush im Frühjahr 1991 erst die irakische Bevölkerung zum Sturz Saddam Husseins aufrief und anschließend die Aufständischen Kurden und Schiiten im Kugel- und Granathagel stehen ließ. Die Oppositionellen haben gelernt, daß ein geschwächter Saddam Hussein international eher akzeptiert wird, als ein zersplitterter Irak.

Dr. Leith Kubba, „Sprecher des irakischen Nationalkongresses“ nennt die Versammlung einen „Wendepunkt in der Geschichte der irakischen Demokratiebewegung“. Bei vorausgegangen Treffen in Beirut und Damaskus lieferten die Oppositionsgruppen abschreckende Demonstrationen ihrer Zerstrittenheit. Durch die Autonomieverhandlungen der Kurdistan-Front in Bagdad ging sogar zeitweilig der Minimalkonsens „Sturz Saddam Husseins“ verloren.

Sechs Arbeitsgruppen schmieden Pläne

Entsprechend ehrgeizig ist die Tagesordnung des Kongresses ausgelegt. In sechs Arbeitsgruppen sollen die Weichen für die Zukunft des Irak nach Saddam Hussein gestellt werden. Eine Gruppe plant die Einführung der Marktwirtschaft, andere diskutieren über Verfassungsentwürfe, Verankerung der Menschenrechte, die gewünschte institutionelle Struktur einer irakischen Regierung sowie die Führungsform des „Nationalkongresses“.

Ein „Operationskomitee“ befaßt sich mit „der Entwicklung von praktischen Feldeinsätzen gegen das gegenwärtige Regime“. Große Hoffnung wird dabei auf frustrierte Kreise im irakischen Militär gesetzt. Der 1978 exilierte Brigadegeneral Adnan Muhammed Nuri glaubt, daß die meisten Einheiten der Streitkräfte mit der Opposition sympathisieren. Allerdings würden sie keinen Putsch riskieren, solange die Moral der regimetreuen Republikanischen Garden ungebrochen sei.

Die Organisatoren wollen den „Nationalkongreß“ als das Gremium der irakischen Opposition verankern. Dr. Hassan Schalabi, Professor für internationales Recht in Beirut, verlangt, die gegenwärtige irakische Führung aus der UNO, der arabischen Liga und allen anderen internationalen Gremien auszuschließen. Das „teuflische Regime“ habe kein Recht, die irakische Bevölkerung zu vertreten. Den Schritt zur Installierung einer Exilregierung machen die Delegierten jedoch nicht. Vielmehr wolle der Kongreß „eine glaubwürdige politische Alternative für alle irakischen Menschen darstellen“, heißt es in einer Absichtserklärung.

Prominentester Gast ist Dschalal Talabani. Der Kurdenführer im dunklen Anzug genießt sichtlich das Klicken der Kameraverschlüsse, während er am Ufer der Donau einen Kaffee schlürft. Als einzige Kongreßteilnehmer kommen die Kurden direkt aus dem Irak. Die anderen Teilnehmer leben seit Jahren oder Jahrzehnten außer Landes. Die von den Peschmerga kontrollierten Gebiete des Nordirak gelten vielen Teilnehmern als erster Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung Iraks.

Trotz der großen Anzahl der Teilnehmer fehlen einige wichtige Gruppierungen. Vor Beginn des Kongresses hatten die Organisatoren beklagt, Saudi-Arabien, Syrien und der Iran wollten das Treffen boykottieren. Der Konflikt mit Saudi-Arabien wurde einen Tag vor Kongreßbeginn beigelegt. Das Königshaus in Riad erklärte schriftlich seine Unterstützung des Kongresses und forderte alle in Saudi-Arabien lebenden Iraker auf, an dem Treffen teilzunehmen.

Iran taktiert vorsichtig

Ganz oben auf der Abwesenheitsliste steht der Name Hassan Mustafa an- Nakib. Der ehemalige Generalmajor, stellvertretender Generalstabschef der irakischen Streitkräfte sowie Botschafter des Irak lebt seit 1978 im syrischen Exil. Der über Siebzigjährige gilt als geeignete Integrationsfigur der Opposition. Aber seine enge Bindung an Syrien verhinderte die Reise. Die syrische Führung schlägt zur Zeit ungewohnt gemäßigte Töne gegen den Rivalen in Bagdad an. Sogar über die bevorstehende Wiedereröffnung der irakisch-syrischen Ölpipeline wird spekuliert. Ein Auftritt von Syrien gesponsorter irakischer Oppositioneller in Wien hätte diese Pläne möglicherweise gefährdet. Opfer der „Entspannungspolitik“ wurden auch im iranischen Exil lebende irakische Schiiten. Der von Teheran unterstützte Chef der „Supreme Assembly for a Islamic Revolution in Irak“ (SAIRI), Muhammed Bakir al-Hakim, mußte kürzlich seine Richtung Irak sendende Radiostation schließen. Zum „irakischen Nationalkongreß“ kamen aus Teheran nur einige „Privatpersonen“. Selbst der in Wien lebende SAIRI-Vertreter Abdabbas Diyah betont, er besuche den Kongreß ausschließlich aus „persönlichem Interesse“.

Offensiver trat zu Beginn der Veranstaltung Muhammed Ali aus London auf. Mit schwarzem Turban und einer grauen Galabiya, an der noch Preisschilder klebten, stellte er sich den Journalisten als Mitorganisator des „Nationalkongresses“ und SAIRI-Vertreter vor. Später mußte er einräumen, aus Teheran zurückgepfiffen worden zu sein: „Sie haben entschieden, daß ich nicht als ihr Vertreter kommen darf. Also bin ich als Privatperson hier.“

Kanaan Makiya, Autor des unter dem Pseudonym Samir al-Khalil veröffentlichten Buchs Republic of Fear, ist über die Abwesenheit einiger Gruppen nicht traurig. Wichtiger, als alle unter einen Hut zu bekommen, sei, „daß wir eine demokratische Alternative bilden“.

Siehe auch Interview unten