Gymnastikstunde im Kongreß

Jelzin gewinnt zwar die Herzen, aber nicht die Unterstützung der Amerikaner  ■ Aus Washington Martina Sprengel

Er habe bei seinen Gesprächen in Washington immer die Interessen des russischen Volkes im Auge gehabt, versicherte Boris Jelzin einem Journalisten aus seiner Heimat bei der den Gipfel in Washington abschließenden Pressekonferenz. Wenn der russische Präsident am Ende dieser Woche wieder nach Hause kommt, werden ihm einige dennoch die Leviten lesen.

Denn was hat er denn vorzuweisen? Hatte er vor Beginn der zweitägigen Gespräche mit George Bush die von den Amerikanern geforderte Abrüstung der landgestützten russischen Interkontinentalraketen noch als unakzeptabel abgelehnt, so gab er am Ende dann doch dem Drängen der Amerikaner nach. Weil man ja jetzt als Freunde und nicht mehr als Feinde miteinander umgehe, brauche Rußland nur noch eine minimale Verteidigung. Die Hoffnung, im Gegenzug für dieses Zugeständnis mit einem finanziellen Hilfspaket belohnt zu werden, hat sich allerdings nicht erfüllt.

Statt seine Offenheit über ein unrühmliches Stück sowjetischer Geschichte zu honorieren, griffen einige Parlamentarier Jelzins Enthüllungen über die Verschleppung von in Vietnam kämpfenden US-Soldaten in die ehemalige UdSSR als willkommenes Argument gegen die Verabschiedung des seit April im Kongreß liegenden „Freedom Support Act“ auf. Bevor der russische Präsident nicht detaillierte Angaben über das Schicksal der Soldaten mache, sollte das von Bush eingebrachte Paket erst mal auf Eis gelegt werden, hieß es. Wie sehr diese Argumentation an den Haaren herbeigezogen war, machte Jelzin den Parlamentarierern zwar in seiner Rede vor dem Kongreß klar und räumte dieses Pseudo- Hindernis aus dem Weg, damit war man aber nur beim Stand vom Vortag angekommen. Jene, die so lange keiner neuen Auslandshilfe — auch nicht für Rußland — zustimmen wollen, bis Bush mehr in die Probleme zu Hause investiert, sind nach wie vor nicht von der Dringlichkeit der Russen- Hilfe überzeugt.

Sollten sich die Parlamentarier dennoch dazu durchringen, dem „Freedom Support Act“ ihren Segen zu geben, machen sie damit vor allem Garantien für Kredite des Internationalen Währungsfonds in Höhe von zwölf Milliarden Dollar frei. „Das wird uns noch nicht einmal wesentlich helfen“, stellte Jelzin in Washington nüchtern fest, machte aber klar, wie zentral die IWF-Kredite für den Erfolg seiner Wirtschaftsreformen sind.

Damit könne der Rubel stabilisiert oder sogar konvertiert werden. Und dies, so hofft Jelzin, „wird die Tür öffnen für einen kraftvollen Zustrom an privaten Investitionen“. Mit anderen Worten, solange diese Kredite nicht fließen, wird Rußland für ausländische Investoren unattraktiv bleiben, und so lange sind die am Mittwoch in Washington unterzeichneten Handelsverträge, die Jelzin als einzige Errungenschaft von seiner Reise mitbringt, quasi wertlos. Mehr als ein Dutzend Verträge, die die USA zum größten Handelspartner Rußlands machen sollen, hat er in der Tasche; von der lange ersehnten Meistbegünstigungsklausel, die die Zölle auf russische Produkte senkt, über ein Doppelbesteuerungsabkommen bis hin zu einer Risikoversicherung für amerikanische Investoren.

Jelzin kann sich jetzt zwar in dem Lob des amerikanischen Präsidenten und der Parlamentarier sonnen, die seine Rede vor dem Kongreß als „historisch“ und — wie ein Abgeordneter formulierte — „besser als alles, was ich jemals hier gehört habe“, bezeichneten. Im Grunde aber haben die versammelten Senatoren und Repräsentanten sich selbst bejubelt. Mit ihrem minutenlangen Applaus für den gezähmten Kommunisten, den insgesamt 13 stehenden Ovationen sowie ihren begeisterten „Boris, Boris“-Rufen haben sie gefeiert, daß die USA als Sieger aus dem Kalten Krieg hervorgegangen sind.

Boris Jelzin hat eine gute Show hingelegt und es verstanden, die Amerikaner mit entsprechenden Reizworten in einen wahren Begeisterungstaumel zu stürzen. Daß sie das noch erleben durften. Ein ehemaliger Kommunist, der sich zu ihren Werten bekennt und wie einer von ihnen formuliert: „Der Götze Kommunismus, der überall soziale Zwietracht, Feindseligkeit und unvergleichbare Brutalität verbreitet hat und Angst vor Humanität eingeflößt hat, ist zusammengebrochen.“