INTERVIEW
: „Die Reaktionen zeigen, daß wir ins Schwarze getroffen haben“

■ PDS-Geschäftsführer Wolfgang Gehrcke zum schwarz-roten Bündnis im Osten: Die PDS ist durch die Sammlungsbewegung politikfähiger geworden

Der Hamburger Wolfgang Gehrcke, einer der Gründungsmitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), gehörte lange vor dem Fall der Mauer zu den maßgeblichen Sprechern der Erneuerungsströmung innerhalb der DKP. Nach dem Ende der DDR schloß sich der langjährige Hamburger DKP-Vorsitzende als einer der ersten Wessis der PDS an. Mit der denkbar knappsten Mehrheit von nur einer Stimme bestätigte ihn der letzte PDS-Parteitag — gegen das ausdrückliche Votum von Parteichef Gregor Gysi — in seinem Amt als Bundesgeschäftsführer.

taz: Herr Gehrcke, wie würden Sie im Westen linke Politiker bezeichnen, die sich für eine politische Sammlungsbewegung unter Einschluß von CDU-Spitzenpolitikern aussprächen?

Wolfgang Gehrcke: Die würde ich im Westen als nicht links bezeichnen, wenn diese Sammlungsbewegung zu einer Stabilisierung christdemokratischer Politik beiträgt. So habe ich die Verhandlungen zwischen den Grünen und der CDU in Baden-Württemberg sehr kritisch gesehen.

Warum sehen Sie das im Osten anders?

Es geht auch im Osten nicht um eine Zusammenarbeit mit der CDU, sondern um ein Projekt, an dem CDU-Politiker beteiligt sind. Und dann sollte man sich darauf einlassen, daß es einen Ost- West-Gegensatz gibt. Im Osten wird durch die Politik der Bundesregierung alles plattgemacht, was auch nur entfernt an die ehemalige DDR erinnert. Dabei hat man überhaupt keinen Respekt vor der hier gewachsenen Kultur, vor den Lebensbedingungen der hier lebenden Menschen. Denen haut man permanent vor den Kopf, ohne daß man ihnen eine Chance gibt, ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten. Das ist der vorherrschende Zug. Dagegen formiert sich Widerspruch der verschiedensten Art, auch bei CDU-Politikern. Vieles, was da geäußert wird, korrespondiert heute mit linken Forderungen.

Normalerweise zeichnet sich linke Politik nicht dadurch aus, regionale Bündnisse unabhängig von der sozialen Stellung der Beteiligten zu schließen. Am politischen Geschäft Ossis gegen Wessis dürften sich doch Linke nicht beteiligen, die die Emanzipation auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Das, was hier im Osten von Politkern unterschiedlicher Strömungen und Grundüberzeugungen diskutiert wird, ist kein Bündnis Ossis gegen Wessis. Es geht dabei um eine Zusammenarbeit zur Vertretung der besonderen Interessen der Menschen im Osten, die mit außergewöhnlichen Lasten konfrontiert sind. Ein solches Bündnis liegt auch im Interesse der linken und demokratischen Kräfte in Westdeutschland.

Es gibt kein Oben und kein Unten mehr, sondern nur noch Ostdeutsche?

Es gibt ganz manifest ein Oben und ein Unten, nur das Unten ist der Osten im weitesten Sinne. Natürlich gibt es auch im Osten Vereinigungsgewinnler, die an den Schalthebeln sitzen, aber die gehören zumeist zum zweit- und drittklassigen Export aus dem Westen. In allen anderen Parteien wurden die Menschen aus dem Osten ja weitgehend untergebuttert.

Ein wesentlicher Konstruktionsfehler der Vereinigung, der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung von enteignetem Besitz, wurde mit Zustimmung der letzten DDR-Regierung festgeschrieben. Jetzt spielen sich ausgerechnet Leute wie Diestel und De Maizière, die dieses Ja im Osten durchgedrückt haben, als Wahrer ostdeutscher Interessen auf.

Ich weiß nicht, ob De Maizière an den Gesprächen beteiligt ist, aber ein Recht auf Irrtum würde ich jedem einräumen. Ich selbst habe mich sehr oft in meinem politischen Leben geirrt und Bestrebungen unterstützt, die nicht auf die Emanzipation von Menschen gerichtet waren. In Anbetracht dieser eigenen Fehler warne ich vor jeder Selbstgerechtigkeit Menschen gegenüber, die ihr früheres Verhalten kritisch überdenken.

Das „Neue Forum“ hat die avisierte Sammlungsbewegung als die Wiedergeburt des alten „Blockflötenorchesters“ charakterisiert.

Ist das ein inhaltliches Argument? Ich bin aus dem Westen gekommen und habe während der letzten zwei Jahre beobachten können, wie Menschen hier sehr ernsthaft ihre Vergangenheit reflektiert haben und innerlich zu neuen Positionen gekommen sind, ohne Vergangenes einfach zu verleugnen. Es gibt auch Menschen, die in Opposition zum alten Regime in der Bürgerbewegung für Neues gestritten haben, davon aber nichts mehr wissen wollen und heute sehr staatstreu agieren.

Das neue Ost-Bündnis wird auch in Richtung Wahlformation gedacht?

Solche Überlegungen stehen nicht am Anfang. Derzeit geht es vor allem darum, außerparlamentarisch Druck zu entwickeln, damit sich hier die Situation für die Menschen ändert.

Wie bewerten die PDS-Mitglieder, z.B. diejenigen von der kommunistischen Plattform, den schwarz-roten Flirt?

Eins vorneweg: Der Bestand der PDS steht überhaupt nicht zur Disposition, und wir werden in keinem — wie auch immer strukturierten — Bündnis als Partei aufgehen. Gleichzeitig haben wir immer gesagt, daß Bürgerinteressen vor Parteiinteressen gehen. Hinzu kommt, daß wir nach den Berliner Wahlen selbstbewußt genug sind, uns auch auf die schwierigsten Bündniskonstellationen einzulassen. Dazu ist die Bereitschaft bei allen Strömungen innerhalb der Partei vorhanden.

Forciert Gregor Gysi das Bündnis nicht auch aus parteitaktischen Überlegungen? Wenn führende CDU-Parteipolitiker mit der PDS zusammenarbeiten, werden Stigmatisierungs- und Ausgrenzungskampagnen durch die Westparteien schwieriger.

Parteitaktische Überlegungen spielten bei der Gesprächsanbahnung keine Rolle, sondern der Geburtshelfer war die reale, desolate Lage im Osten selbst. Faktisch ist es nun aber so, daß wir dadurch als Partei auch politikfähiger geworden sind. Ein Nebeneffekt, der uns gewiß nicht traurig stimmt. Die Reaktionen aus Bonn zeigen ja, daß wir ins Schwarze getroffen haben und das freut uns.

Im Nebel des neuen Ostbündnisses wird ein kräftiger Schuß Populismus sichtbar. Sie suggerieren den Ostdeutschen Möglichkeiten, die es nicht gibt. Mit dem Fortfall der Mauer, mit der Einführung der D-Mark, die das Volk gar nicht schnell genug bekommen konnte, war zugleich der Zusammenbruch der DDR- Wirtschaft besiegelt. Das konnte sich jeder ausrechnen, aber die meisten haben diesen Zusammenhang verdrängt und lieber den bequemen Lügen von Kohl geglaubt. Sie erzeugen aber jetzt neue Illusionen.

Wir tun nicht so, als seien die Probleme ganz einfach zu lösen, aber wir machen Vorschläge, deren Umsetzung neue Perspektiven eröffnen. Sanierung statt Privatisierung heißt ein Stichwort, bevorzugte Auftragsvergabe an Ostunternehmen ein anderes. Wenn heute z.B. Finanziell interessante Bauvorhaben vergeben werden, kommen die großen Westunternehmen zum Zug. Das gilt aber auch für lukrative Forschungsaufträge, von denen zuallererst westdeutsche Wissenschaftler profitieren. Es gibt kaum einen Bereich, in dem es andersherum läuft.

Soll das neue Bündnis auch die angekratzte Psyche vieler Ostdeutscher heilen?

Das sozialpsychologische Moment des darf man nicht unterschätzen. Es kann nicht gut gehen, wenn man auf Dauer Menschen daran hindert, über ihr gelebtes Leben normal reden zu können. Fast jeder im Osten war in irgend einer Organisation, die das alte System stützte. Partei, Gewerkschaft, Jugendverbände. Wenn man in der Kneipe mit Leuten über die Vergangenheit redet, und es kommt ein Fremder hinzu, dann bricht das Gespräch ab, dann hat man keine Vergangenheit mehr. Dann war man eben nicht im FDJ-Lager oder beim Jugendfestival oder sonstwo. Sowas kann nicht gut gehen. Es muß die Freiheit geben, zum gelebten Leben stehen zu können. Interview: Walter Jakobs