Seriös sozusagen

■ Mozarts „Zauberflöte“, von den Bremer Stadtschmusetanten neu interpretiert

Eine dunkelgraue Prozession ausladender Hüte. Einer nach dem andern tauchen sie aus dem Proszenium, eine Litanei murmelnd. In einer langen Schlange bewegen sie sich über die Bühne, singen von Schuld, Sühne und Vergebung, und lassen sich schließlich auf ihre Sitze sinken. Erschöpft, grau, verschleiert, formlos — wandelnde Hüte eben.

Wo es Litanei gibt, da ist sie zuhause, die heilige Familie, der Hort alles Bösen. Papa, Mama, Zombie, das Trio Infernale, die Keimzelle aller möglichen Deformationen und eines gehörigen Anteils künstlerischer Produktion. Schon deshalb lebe sie hoch. Mozart zum Beispiel, als Tonsetzer hochverehrt, und, wie man so hört bzw. liest, mit spielerischer Destruktionslust gesegnet, nahm sich die Familie gern zum Ausgangspunkt für die großen Wirrungen, die er seine ProtagonistInnen durchleben läßt.

Beispielsweise die Zauberflöte. Ein Stück wie geschaffen für eine unrespektierliche, schamlose Bearbeitung, wie sie die Bremer Stadtschmusetanten, das schwule Musiktheater, unter der Regie des Kresnik-Schauspielers Joachim Siska realisiert haben. Schon wegen des anzüglichen Titels. Ein Stück mit vielfältiger Liebe am versöhnlichen Ende. Wo sie sich kriegen, Tamino und Pamina, Papageno und Papagena, zuguterletzt, wenn sich beide, Lieb und Feinsliebchen, zuvor losgemacht haben von den Fesseln der Mutter.

Denn auch wenn Mama Königin ist und Mitleid erregt, sie bleibt doch an allem schuld und das Haupthindernis. Gerade wenn sie, wie in dieser Inszenierung, sich in viele einzelne Facetten auflöst, in vierzehn verschiedene Stimmen, Stimmungen und Haltungen, die sie mächtig und ungreifbar machen.

Soweit der Grundkonflikt, den die Stadtschmusetanten verdeutlichen. Papageno, der Vogelfänger der Königin, hat einen zeitgemäßeren Job als Chauffeur bekommen. Und Pamina, die Prinzessin, ist nicht mehr im Tempel des Weisheitspriesters Sarastro gefangen, sondern als depressive und medikamentenabhängige Patientin der Nervenklinik von Frau Doktor Sara Stro.

Da sind die Herren schon ganz ernsthaft. Seriös sozusagen. Sie singen ihre Lieder mit Schmelz und gelegentlich — die Königin — auch in derb verschliffenen Kollektivkoloraturen. Jochen Sievers als wunderbar schlaksige, weibliche Hauptfigur Pamina singt einen ganzen Abend lang seine Arien im höchsten Falsett und verfehlt keinen Ton.

Doch hat die Seriosität zum Glück schon ihre natürlichen Grenzen. Man spürt die Anstrengung der hohen Stimmlage, die Dynamik holpert. So entsteht eine eigenartige Spannung der Brüche, mit der auch eine Gassenhauer-Oper wie die Zauberflöte noch einmal spannend und witzig wird. Werkgetreu ist das nicht, nur verspielt und respektlos wie die furios albernen Trio-Auftritte der drei Stadtschmusenichten (Schmusetanten-Jugendclub) Oliver Leppin, Jofri Gampper und Ingo Matthias, die dem Liebhaber Tamino (Lars Petersen) den Weg zu Pamina weisen und so nebenbei die alten Klischees schwuler Ästhetik in den Orkus kippen.

Und das Publikum im ausverkauften Theater am Leibnizplatz? All die Freunde, Nachbarinnen und anderen Adoptiveltern der Schauspieler? Restlos begeistert, von vorne bis hinten. Mozart hätte gejohlt vor Freude. step