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: Altbier und Altfreaks

Altbier und Altfreaks

Eine kleine Spelunke am Ende der Stadt. In deren Hinterzimmer ist eine Männerrunde versammelt, mit verhärmten, teilweise bösartig wirkenden Gesichtern. Der eine hat eine Narbe, quer über den kahlrasierten Schädel. »Der Boss kommt«, flüstert Dino heiser, bevor er sich in seinen Sessel zurücklehnt, sein Gesicht damit aus dem Schein der niedrig hängenden Deckenlampe verschwindet.

Das ist das Syndikat. Und doch hat diese klischeehafte Vorstellung nichts mit der gleichnamigen Polit- Kneipe im Herzen des Neuköllner Kiezes zu tun. Zwar treffen sich hier auch des öfteren verhärmte Gestalten, um in illustrer Runde den einen oder anderen Whisky zu kippen. Zwar scheinen auch von hier subversive Aktivitäten die wohlgeordnete Struktur unserer Staatsmaschinerie untergraben zu wollen. Doch das meiste passiert verbal, im Rausch oder überhaupt nicht. So sitzt man denn im hell gehaltenen »Hinterzimmer« des »Syndikat«, an dessen Stirnseite gemalte anarchistische Gartenzwerge dabei sind, das märkische Viertel in die Luft zu jagen und lauscht den Gesprächen der hier versammelten Alt-68er oder Jung- Anarchos. Zuweilen hat man das Glück, einer bierseligen Versammlung Neukölner Kiezintellektueller beiwohnen zu dürfen. So ist zum Beispiel der für seine Kreditakkumulation bekannte Michael Stein hier Stammgast. Hat der Kredit eine »gewisse Schmerzgrenze« überschritten, ringt sich »PillePalle«, wie vorgestern geschehen, zu einer Lesung seiner literarischen Werke durch. Gegründet wurde das kollektiv betriebene Syndikat vor rund sieben Jahren von ehemaligen »Spektrum«- Leuten (ex-EX) und MitarbeiterInnen des »Rhizom« in Schöneberg. Als Kollektiv hat sich die Kneipe bis heute halten können, berüchtigt ist sie für ihre morgendlichen Exzesse, die oft damit enden, daß die Putzkolonne am Morgen die Alkoholleichen des Vorabends entsorgen darf.

Als HundebesitzerIn kann man sich den Besuch im Syndikat getrost abschminken, denn: »Wir hatten ja schon lange ein Hundeverbot erwogen, weil Hunde für die Bedienung einfach stressig sind. Als mir dann aber ein Hund ans Bein pinkelte und sein Besitzer im gleichen Moment auf die Theke kotzte, da war mit bestem Willen nichts mehr zu machen. Der flog sofort raus.« Aha, K. ist heute in Erzähllaune. Christian wohnt mit ihm zusammen: »Den müßtest Du mal beim Frühstück erleben. Derartig muffelig! Aber je mehr es dem Abend zugeht, desto besser kommt der drauf.« Ja, diese Gaststätte, »ein soziales Biotop«, wie ein anderer Gast anmerkt, ist so richtig was für Nachtschwärmer. Der im Nebenraum stehende Billardtisch und ein leicht angeknockter Flipper sorgen für den proletarischen Effekt, der in einer revolutionären Kneipe nicht fehlen darf. Auch BierfreundInnen sind hier richtig: Es gibt, sonst selten in der Stadt, Altbier und Budweiser vom Faß. Eine reiche Auswahl von Spirituosen und Säften versteht sich von selbst. Ab 22 Uhr gibt es immer ein kleines Gericht zu erschwinglichen Preisen, für die Leute, die es nicht geschafft haben, vor abendlicher Schließung des Supermarktes aus den Federn zu kommen. So gegen früh um sechs reduziert sich der Kreis von Gästen auf das Stammpublikum, die Stimmung wird leicht melancholisch. Urlaubspläne werden geschmiedet, Auswanderungen geplant. »Und nächstes Jahr um diese Zeit bin ich in der Karibik«, träumt K. vor sich hin. »Das erzählt der jedes Jahr«, wirft Christian ein. Mit dem Syndikat scheint's also noch lange nicht aus zu sein.

Syndikat, Weisestraße 56, 20 bis ??? Uhr