Angekommen, mit dem Prinzen

■ Zsuzsanna Gahse las in der LiteraturWERKstatt am Majakowskiring

Nichtjemend, nicht einmal jemand ist gekommen oder nicht angekommen, versucht anzukommen, versucht immer anzukommen, und er ist nicht einmal sicher, daß er das schafft.« Angekommen ist Zsuzsanna Gahse am Donnerstag in Berlin, um aus ihrem neuen Buch Essig und Öl zu lesen. Nicht bis in die LiteraturWERKstatt nach Pankow geschafft hat es das Publikum. Angekommen waren die Verlegerin aus Hamburg mit ihrem Mann, der für die Presse zuständige Mitarbeiter, ein Verlagsvertreter, eine Autorin, der Kritiker und eine Handvoll Mitarbeiter des Hauses. Das literarische Berlin saß vor dem Fernseher und sah den deutschen Fußballhelden beim Verlieren zu. Recht geschieht ihm!

Angekommen war auch der Schweizer Performancekünstler Christoph Rütimann. Während die Autorin las, zeigte er Diaprojektionen an der Wand: Punkte, Pfeile, Schriftbilder, Farbrechtecke. Beschränkung auf einfachste Formen, um emotionale Wirkungen zu erzielen, ist ein Grundprinzip von Rütimanns Arbeiten. Seine Bilder unterstützten den gelesenen Text, ohne die Phantasie der HörerInnen zu dirigieren. Nur das Dauerrauschen der Projektoren ging auf die Nerven.

Zsuzsanna Gahse spricht, wie sie schreibt: Jedes Wort steht klar und prägnant im Raum. Keines ist zuwenig, keines ist zuviel. Ihre kunstvoll- künstliche Sprache wirkt selbstdiszipliniert, aber nie unterkühlt. Dabei saß sie leicht verkrampft, mit angezogenen Knien und Ellenbogen an ihrem Lesetischchen, so, als fürchtete sie, die zur Wortarchitektur geronnenen Gefühle könnten sich beim Sprechen lösen und am Ende doch mit ihr durchgehen.

Essig und Öl erzählt von einer Frau, die sich in Wien, wo sie früher einmal gelebt hat, neuerlich einzurichten versucht. Ein Prinz taucht auf, der anders ist als die vielen, nach Rasierwasser duftenden, ungeschickt zupackenden Männer. Die Frau »kreuzt« sich mit ihm, dann geht er bei einer Kellnerin verloren und ist fort. Die Nichtjemand rast die Wiener Ausfallstraßen entlang, überzeugt, sie sei schwanger. Sie will ein zitronengelbes Mädchen zur Welt bringen, gelb wie der Mirabellenbaum ihrer Kindheit. Am Schluß wird kein Kind daraus, sondern Kunst: »Dies ist ein Mirabellenbaum« steht auf einem großen, gelben Tuch, das sie hinter der Statue der Maria Theresia aufspannen läßt.

Die Erzählung ist engmaschig und vielschichtig wie ein Gedicht, ohne je ins Lyrische zu kippen. Lyrisch ist nur die Grundbefindlichkeit der Protagonistin, der immer ein Gedicht von John Henry Mackay im Kopf herumgeht: »Und will an die Brust Dir sinken, eh Du's gehofft,/ Und Deine Küsse trinken, wie ehemals oft/ Und flechten in Deine Haare der Rosen Pracht,/ Oh, komm, du wunderbare, ersehnte Nacht.«

Wien kümmert sich nicht um ihre Sehnsucht. Wien schweigt sich aus, und das ist quälend, das könnte tödlich ausgehen, käme nicht am Ende der Prinz zurück. Zsuzsanna Gahse beschreibt eine typische Großstadterfahrung, ohne die Stadt selber zu beschreiben. Ganz nebenbei gibt sie eine Definition, was Urbanität bedeutet: »Es ist eine Leistung einiger großer Städte, daß Straßen oder irgendeine Straße, ohne damit Staat machen zu wollen, nebenbei und auf besondere Weise eine Wendung nehmen, abzufallen.« Das sollte auch die Berliner interessieren.

Im Garten hinter der LiteraturWERKstatt blühten gelbe, rote und rosa Rosen. Das wäre ein Schauplatz gewesen für das Glück. Aber die Prinzen saßen ja zu Hause und guckten Fußball. Zsuzsanna Gahse, die sich hier wohl fühlte, will bald wiederkommen. Hoffentlich kommt dann auch das Publikum an. Michael Bienert

Zsuzsanna Gahse: Essig und Öl Europäische Verlagsanstalt, 1992