: DIE ABSTIMMUNG MIT DEN FÜSSEN
■ "Freizeitpapst" Opaschowski und seine Thesen über die künstlichen Ferienwelten
„Freizeitpapst“ Opaschowski und seine Thesen über die künstlichen Ferienwelten
VONCHRISTELBURGHOFF
Die Abstimmung über den Tourismus der Zukunft werde „mit den Füßen“ stattfinden, und der Ausgang der Entscheidung liege nahe: Die Masse der Urlauber richte sich mit wachsendem Vergnügen in künstlichen Ferienwelten, Spaßzentren und perfekten Urlaubs-Versorgungsanstalten ein. Die touristische Wirklichkeit der Zukunft liege in der „verwirklichten Vision“, dem künstlich hergestellten Urlaubsszenarium. Von wegen Reisen, Welterfahrung oder gar Lust an der Entdeckung: Was gibt es denn auf unserem schönen runden Globus noch Schönes zu entdecken, was nicht künstlich noch viel schöner und besser zu haben ist?
Mit der Überzeugtheit des besten Kenners der bundesdeutschen Freizeit- und Urlaubsszene und dem professoralen Gewicht seiner Wissenschaftlerposition läutete unlängst „Freizeitpapst“ Horst W. Opaschowski (siehe taz vom 20.5.92) den definitiven Trend zur Künstlichkeit ein — nicht ohne dieser Kulturleistung der touristischen Massen höchstes Lob zu zollen. So sollen selbst ökonomische, psychologische und sogar ökologische Gründe für die perfekten Spaßwelten unter den großen Käseglocken sprechen.
Statt rund um die Welt zu düsen und ökologischen Schaden anzurichten, wie es Tourismuskritiker immer wieder bemängeln, fährt man bloß etliche hundert Kilometer weit bis zum nächsten Center Parc; statt im hintersten Winkel der Welt Eingeborene zu belästigen, bleibt man im Vergnügungspark unter sich und läßt sich fachgerecht animativ zerstreuen. Was, bitte schön, soll daran falsch sein? Wer rümpft da noch die Nase über das sogenannte „Fast food für die Sinne“? Kulturkritik? — nein, danke!
Professor Opaschowski lebt und forscht seit über zwanzig Jahren im Dienste der Freizeit der BundesbürgerInnen. Wie kein anderer hat er die freizeitpolitische Diskussion bestimmt; Generationen von Studenten durchliefen seine Seminare; er saß und sitzt in Kommissionen und Ausschüssen und kann auf eine imponierende Publikationsliste zurückblicken. Wenn Opaschowski der massentouristischen „Entscheidung mit den Füßen“ eine Lanze bricht, so argumentiert er mit der Autorität des anerkannten Kenners der Massenbedürfnisse. Aber damit nicht genug: Er gebärdet sich auch als Anwalt der Freizeitmassen.
In seiner letzten Studie (B.A.T.- Freizeitforschungsinstitut, 1992) überraschte er die Öffentlichkeit mit der These vom „Paradigmenwechsel“. Nicht marktkonformes Verhalten, nein, die bare Lebensfreude treibe die Leute in die neuen künstlichen Paradiese. Opaschowski will herausgefunden haben, daß die BundesbürgerInnen die alles dominierenden ökonomischen Zwänge und Arbeitsweltnormen weitgehend abgestreift haben und statt dessen der Freiheit und Lebensfreude frönen. Wo die Lust herrscht, kann der Mensch nicht irren. Freiheit und Freizeit, suggeriert Opaschowski, sind identisch.
Der Spaßbetrieb der postmodernen Angebotspalette schmeckt nicht nur nach Freiheit und Lust — für Opaschowski ist das alles echt! Was kritische Sozialwissenschaftler schon lange als pure Ideologie ausgehebelt haben, nämlich daß die Vermarktung der Freizeit noch lange nichts mit Freiheit zu tun hat, will Opaschowski einfach nicht wahrhaben. Mit Opaschowski läßt es sich in einer verkümmerten Freiheit gemütlich einrichten.
Seit Jahren, so versucht er den Beleg zu erbringen, mehren sich im sogenannten Freizeitbereich die Zeichen subjektiver Zufriedenheit. Nicht nur beim Häkeln und Heimwerken schaut man zufrieden in die Welt, sondern auch beim Einkaufen, wenn die tütenbeladenen Hausfrauen dabei unter postmodernen Arkaden bummeln können; ob auf dem Weg zur Arbeit oder auf der Demo: Umfragen zeigen, daß selbst Verkehrsstaus neuerdings immer mehr Leuten der Entspannung dienen; wer, rundherum versorgt, unter falschen Palmen wandle, vergesse vor lauter Exotik sogar den Trip in die Karibik.
Natürlich hinterfragt Freizeitforscher Opaschowski die Äußerungen seiner „glücklichen Cliquen“ nicht, wenn sie im urbanen Freizeitrummel, in Ferienclubs, in Spaß- und anderen Zentren im Taumel von „Faszination, Begeisterung und Happiness“ schwelgen. Opaschowski macht aus der schlichten Anerkennung einer aufpolierten Umwelt ein generell neues Lebensgefühl. Die Behauptung, daß bei aller Glückseligkeit die Normen der Ökonomie und der Arbeitswelt gleichwohl die Freizeitaktivitäten strukturieren, behandelt er in seiner Studie als überholtes Zeug von Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, als das Werk arbeitssüchtiger Wissenschaftler, die im Angesicht des „Paradigmenwechsels“ die protestantische Berufsethik retten wollen.
Opaschowski beherrscht den unschlagbaren Trick, seinen potentiellen Kritikern die passenden Antworten gleich mitzuliefern. Er dreht den Spieß einfach um. Wer dem Freizeitgedöns skeptisch gegenübersteht, dem gibt Opaschowski unschwer zu verstehen, daß er nicht zu „leben“ verstehe; wer da nicht mitmachen will, weiß eben nicht, was „Spaß“ ist. Sein Verhältnis zu Kultur-, Tourismus- und anderen Kritikern ist gespannt. Kaum eine seiner Veröffentlichungen, in der er nicht vermeint, die sogenannten Massenbedürfnisse vor sogenannten elitären Ansprüchen verteidigen zu müssen. Psychologische Einwände oder gar der verschämte Hinweis auf zunehmende Entfremdung und Veräußerung gegen den erbarmungslosen Spaßtaumel in Ferienclubs? Ästhetisches Naserümpfen über das fleischliche Geschubse in Center Parcs? Touristische Kritik am Massenbetrug an den Reisewünschen? Arrogantes Zeug! Tourismuskritikern, so ließ er verlauten, ginge es letztlich nur darum, ihre egoistischen, exklusiven Reiseansprüche zu verteidigen. Auch wenn die Masse willig am Tropf der großen Spaß-Spender zappelt — die „Entscheidung mit den Füßen“ sei gleichwohl von Vernunft geprägt.
Aber woher weiß Opaschowski eigentlich so genau, was die touristischen Massen wollen? Er weiß es eben. Er weiß es ebensogut wie jeder andere Profi der Konsumgüterbranche. Opaschowski ist Spezialist für Erlebniskonsum, Spezialrichtung: Animation. Er weiß, wie man träge Touristen auf die Beine bringt. Vor zehn Jahren noch bejubelte er hemmungslos den Aerobic-Streß („Aerobic ist die perfekte Animation“, „Aerobic ist Lebenslust, ,Saturday Night Fever‘ für eine ganze Stunde“); heutzutage erteilt er den neuesten Schöpfungen der Freizeitbranche, den künstlichen Ferien- und Freizeitwelten, seinen professoralen Segen und spricht von „verwirklichter Vision“ und wiederum von „Perfektion“.
Sicherlich gibt es im Zeichen des Ozonlochs viele gute Gründe für den Bau überglaster, überlasteter Badelandschaften; die von Opaschowski bemühten Gründe, einschließlich der ökonomischen und ökologischen, tragen jedoch allesamt einen — gelinde gesagt — kleinen Schönheitsfehler. Wie beispielsweise die heftige Auseinandersetzung um den Bau eines Center Parcs in der Lüneburger Heide auch in der Öffentlichkeit gezeigt hat, ziehen ökologische Gründe nur dann, wenn man bewußt einäugig ist und von der Komplexität der ökologischen Folgen absieht. Mag die künstliche Welt innen auch einigermaßen ökologisch „clean“ sein — draußen potenzieren sich die Verkehrs- und Müllprobleme, werden Wasser- und Energieverbrauch in die Höhe getrieben, wird immer mehr Landschaft für Wegenetze und Parkplätze versiegelt.
Es sind die Argumente der Tourismusindustrie, deren sich Opaschowski bedient. Er ist ein willfähriger Apologet der Marktentwicklung, der willige touristische Massen wunschgemäß in die endlose Spirale des Erlebniskonsums mit einbindet. Ohne seine Konzepte ist die spezifische deutsche Animation der Ferien- Club-Veranstalter kaum denkbar, ohne seine vielen Schüler und Adepten, die in Brot und Lohn der Touristikkonzerne für eine Umsetzung sorgen, nicht so erfolgreich.
Scheinheilig fragte der Tourismuspapst jüngst in der taz, ob „wir uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, daß die schöne neue Urlaubswelt nur noch als Kulisse zu haben ist?“ Wir werden es vermutlich müssen, Herr Opaschowski! Aber wie das Wörtchen „müssen“ schon aussagt, ist es beileibe keine Frage des Spaßes! Dahinter erhebt sich vielmehr die Frage, ob die Touristikindustrie weiterhin ungeniert künstliche Welten aus dem Boden stampfen kann und ob sogar Wissenschaftler uns den besinnungslosen Spaßtaumel als höchsten Ausdruck von Lebensfreude schmackhaft machen können.
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