ZWISCHEN DEN RILLEN VONTHOMASWINKLER

Den Cro-Mags wird angedichtet, sie wären ursächlich für die Verschmelzung von Punk mit Metal-Elementen verantwortlich. Tatsache ist, daß sie bereits Anfang der achtziger Jahre mit einem Vorhaben begannen, mit dem nicht nur musikalische, sondern vor allem ideologische Barrieren zu überwinden waren. Was daraus geworden ist, kann man an der Unzahl von Trash-, Speed-, Death- und Doom-Metal-Bands unschwer ablesen. Das Debüt-Album der Cro- Mags erschien erst 1986. Nach der zweiten LP, 1989, lösten sie sich auf, um zwei Jahre später wieder auf Tournee zu gehen. Schon damals waren sie niemals stehen geblieben, hatten sich im selben Affenzahn, den sie als Rhythmus bevorzugen, vom klassischen Drei-Riff-Punk entfernt und dem Hardcore nicht nur die Schwere des Metal, sondern auch die Eleganz des Funk und die Informationsdichte des HipHop zugegeben, ohne dabei so weichzuspülen, wie das Faith No More mit entsprechendem finanziellen Erfolg vorgeführt haben.

Auf ihrer dritten LP Alpha Omega wird dieser Weg weiter gegangen. Eyes of Tomorrow beginnt als stumpf dahingeprügelter Speed mit erzürntem Japsgesang und mutiert, ohne die Harmonie des Songs aufzubrechen, zu einem hart groovenden Rap. Gleich das nächste Stück The Other Side of Madness ist ein behäbig dümpelnder Hardrocker, mit ausgiebigen, fast schon jazzigen Improvisationen um das Riff herum und einem haarekräuselnwollenden Bösewichter-Organ, der so auch gut aus der mittleren Phase von Metallica stammen könnte.

Das größte Verdienst der Cro-Mags ist es, relativ harmonisch fast alles auf einmal in den Metal zu integrieren. Dabei bleiben sie notgedrungen öfter auf halbem Wege stecken, was aber äußerst angenehm sein kann, weil die Szene in ihrem Schneller-lauter-härter-Wahn ohnehin an die Grenzen möglicher Wahrnehmung gestoßen ist. Selbst ihr Speed ist gerade mal so schnell, daß er auch für Menschen, die Headbanging für sowas wie Minipli halten, überlebbar ist.

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Im Gegensatz dazu ist für Saint Vitus Schnelligkeit etwas völlig Verabscheuungswürdiges. Während die meisten ihrer Kollegen versuchten, die Grenzen des Spielbaren immer weiter auszuloten, wandten sich die Black-Sabbath-Fans dem genauen Gegenteil zu. Ihre große Liebe galt der Langsamkeit; die Schnecke wäre ihr Wappentier, wenn sich Totenköpfe nicht viel besser machen würden. Tragischerweise hatten Saint Vitus vor kurzem den Verlust ihres Sängers Wino zu beklagen. Dieser bestach nicht nur durch eine Stimme, die aus einer Gruft zu kommen schien, die bisher noch nicht gebaut wurde, sondern zusätzlich mit überaus beeindruckenden Koteletten. Dieses — man möchte sagen — Kleidungsstück war für die Band fast noch wichtiger als das schwarze Leder, umso dramatischer der Abgang von Wino, der der Band noch nicht einmal durch höhere Mächte (im besten Fall Freund Hein) abhanden kam. Er hat seine Band schnöde verlassen.

Für ihren neuesten Slowplayer C.O.D. (steht für Children of Doom) haben sie, was die Stimme betrifft, mit Christian Linderson, der einschlägige Erfahrungen bei Count Raven machen konnte, fast vollständigen Ersatz gefunden. Und Koteletten können ja wachsen. Musikalisch ist eine Vitus-Platte wie die nächste, nur Fachleute und komplette Idioten streiten sich, ob nun die oder die vielleicht einen Tick langsamer sein könnte als die oder die. Abgesehen davon, daß solche Diskussionen keinen Sinn machen, bringen sie einen Höllenspaß.

Zusätzlich gibt's Schüttelreime und klasse Weisheiten wie diese: „Heroes die but legends remain/ History tells us again and again.“ Ansonsten bevölkern die obligatorischen Skelette und vor Schreck weißgewordenen Körper die Texte. Auch ein nuklearkritisches (man möchte sagen:) Werk hat sich eingeschlichen. Der Leser möge sich diese vier durchaus nicht mehr ganz jungen, teilweise bärtigen, teilweise bierbäuchigen Herren vorstellen, wie sie die Nachrichten vom letzten Strahlenunfall sehen, einen tiefen Schluck aus der Pulle nehmen, gemählich und voller Ernst das Haupt neigen und beschließen, über all dies Unglück ein Stück zu machen.

Cro-Mags: Alpha Omega. Century Media/ SPV 84 9730-2

Saint Vitus: C.O.D.. Hellhound/Intercord CD 987417, LP 947417

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