Die neue Lust am Demonstrieren

Äthiopien kämpft mit den Errungenschaften des Afro-Sozialismus/ Barbiere wollen keine „Unternehmer“ sein  ■ Aus Addis Abeba Gerd Meuer

Jüngst demonstrierten in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba mehrere hundert Barbiere. Deutsche Polizeikrafträder voran, marschierten die Friseure wohlgeordnet zum Sitz des amtierenden Premierministers. Auf Plakaten forderten sie, nicht länger als „Unternehmer“, sondern als service renderers — also „Dienstleistungs-Gewährende“ — eingestuft und steuerlich weniger hart belastet zu werden. Zudem verlangten sie die Abschaffung jener Vorschrift, nach der sie bisher neuen Armeerekruten kostenlos den Kopf zu scheren hatten.

Zumindest die letzte Forderung war wohl aus der dünnen Bergluft der in 2.600 Meter Höhe gelegenen Hauptstadt gegriffen, denn das äthiopische Mammutheer des gestürzten Diktators Mengistu hat sich bekanntlich in Nichts aufgelöst, und die heute tonangebenden Guerilleros von der Tigre-Volksbefreiungsfront tragen stolz ihre Afros.

Ein Jahr ist es her, da jagten die blutjungen, meist barfüßigen Kämpfer aus den kargen Bergen Tigrays die ärmliche 400.000-Mann-Armee des selbsterklärten Marxisten Mengistu davon und übernahmen friedlich die Macht. Und auch heute noch genießen diejenigen, die sich vorher den Befehlen zu „spontanen Massenaufmärschen“ fügen mußten, lustvoll die neue Freiheit.

Die Demo der Barbiere wurde von den Hauptstädtern eher als öffentliche Unterhaltung belächelt. Ernster genommen werden da schon die weit imposanteren Märsche der Hausbesitzer, die ihre in 17 Jahren Afro-Marxismus verstaatlichten Immobilien vom Staat zurückfordern. Und ernster noch die Proteste der neuen Arbeitslosen oder derjenigen, die zu Recht fürchten müssen, es demnächst zu werden.

Da sind zunächst die Arbeiter der „Fabriken des Todes“ — das heißt der riesigen Munitionsfabriken Mengistus, deren Produkte heute nicht mehr benötigt werden. Zwar schießen in mehreren Landesteilen Mitglieder diverser „Befreiungsfronten“ auf wehrlose Zivilisten, doch die Übergangsregierung greift nur selten ein. Zwar sind die Nachbarn in Somalia mehr als schießfreudig, jedoch nicht gerade zahlungsfähig...

Tausende von Rüstungsarbeitern werden also nicht mehr gebraucht. Ministerpräsident Meles Zenawi versichert ihnen, daß man über Rüstungskonversion nachdenke und sie die ersten sein würden, denen man in den neuen Industrien einen Job geben werde. Doch dies ist leichter gesagt als getan: Auch in Äthiopien steht die Verkleinerung des Staatssektors mit Dutzenden defizitärer Betriebe an. Das Gros dieser falsch geplanten, mangelhaft ausgerüstet und personell überbesetzten Betriebe wird einfach schließen müssen. Häufig können sie nicht mit den ins Land geschmuggelten Importwaren konkurrieren.

Bislang aber wußten die Arbeiter der Staatsbetriebe sowohl die Arbeitsgesetzgebung als auch das Arbeitsgericht auf ihrer Seite: Wann immer ein Arbeiter auf die Straße gesetzt wurde — Arbeitsrichter Assefa verfügte die sofortige Wiedereinstellung, mit Androhung von Vorführung unter Waffengewalt.

Da aber unter solchen Bedingungen niemand auch nur einen Dollar oder eine D-Mark in Äthiopien zu investieren bereit wäre, wurde der Arbeitsgerichtshof von der Regierung geschlossen, Richter Assefa in den Urlaub geschickt. Darauf griffen seine Kunden prompt zum neuentdeckten Mittel der Straßendemo — mit Erfolg. Mehrere Wochen lang durfte Assefa wieder seines Amtes walten.

Als er schließlich der staatlichen Fluglinie „Ethiopian Airlines“ — einzige effiziente Fluggesellschaft Afrikas — die Wiedereinstellung von 250 nicht benötigten Angestellten befahl, wurde es der Regierung zu bunt: Das Arbeitsgericht ist nun endgültig geschlossen; eine neue „liberale“ Arbeitsgesetzgebung“ soll demnächst verabschiedet werden. Dann ist vielleicht auch so manches Mitglied der in die Zehntausende gehenden äthiopischen Diaspora in Deutschland, den USA, Italien und anderswo bereit, einen Teil der in den Jahren des Pseudo-Sozialismus angehäuften Ersparnisse ins Land zurückzubringen.