Demokratie in einem „Hungerland“

Am Sonntag erlebt Äthiopien die ersten Wahlen seiner Geschichte/ Finanziert wird der Urnengang größtenteils von Deutschen und Amerikanern/ Wahlbeobachter haben wenig zu tun  ■ Aus Addis Abeba Gerd Meuer

Im „Hungerland“ Äthiopien soll es am 21. Juni die ersten freien Wahlen in der dreitausendjährigen Geschichte des Landes geben. Genauer: Nach den 3.000 Jahren „ununterbrochener, unabhängiger“ Feudalgeschichte plus den siebzehn Jahren Afro-Stalinismus, die vor einem Jahr mit dem Sturz des Diktators Mengistu zu Ende gingen.

Von Wahlfieber, wie es andere sich demokratisierende afrikanische Staaten wie Nigeria, Senegal, Elfenbeinküste kennzeichnet, ist jedoch wenig zu spüren. Im Büro der zentralen Wahlkommission in Addis Abeba steht ein einsames Telefon. Keine Walkie-talkies oder Radiogeräte für die Kommunikation mit anderen Landesteilen, kein Schnellkopierer, keine Druckmaschinen, keine Autos im Hof. Man hat nichts, braucht aber alles.

Insgesamt 24 Millionen Birr — 20 Millionen DM — soll die Durchführung der Wahlen kosten. Die bitterarme Regierung stellte zunächst ganze 3 Millionen Birr zur Verfügung und weitere neun Millionen in Aussicht. Der Rest muß von von den Geberländern kommen, die mächtig Druck machen, damit Äthiopien endlich zur Demokratie wird.

Druck wird vor allem von den USA ausgeübt, deren Vermittlungsaktivitäten nach Mengistus Flucht aus Äthiopien den Bürgerkrieg zu beenden halfen. Danach sicherten sie den in Addis Abeba siegreichen Guerilleros der „Demokratischen Revolutionären Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) die Macht.

Omnipräsente USA

Und wie zu Zeiten des Kaisers Haile Selassie sind die USA auch heute massiv in Addis Abeba präsent. Ihr kurz gewachsener designierter Botschafter mit dem burischen Namen Marc Baas („Boss“) wartet zwar noch auf seine offizielle Ernennung, tanzt aber schon jetzt auf allen Hochzeiten. Insgesamt 700.000 Dollar, so verkündet er, stellen die USA für die Wahlen bereit. Kanada gibt 50.000 Dollar, die bankrotte UNO 300.000.

Ein Großteil des Geldes wird nicht den Äthiopiern zugute kommen, sondern für die Entsendung und den Unterhalt von insgesamt 250 internationalen Wahlbeobachtern draufgehen. Denn, so der geographiekundige Botschafter Baas, „die USA sind weit weg, und da kostet allein der Flug schon eine Menge Geld.“

Die Wahlbeobachtergruppe (JIOG — „Joint International Observers Group“) gab vor drei Wochen eine erste Vorstellung für die Presse und für die Vertreter der inzwischen — „wie viele sind es denn bis heute?“, fragt der kanadische Botschafter in den Saal — 90 politischen Gruppierungen im Land. Zehn Minuten nach Beginn erloschen im Theatersaal der Stadtverwaltung von Addis Abeba die Lichter. Vermutlich hatte einer der über die Region hereinbrechenden Gewitterregen einen der im Freien stehenden Transformatoren außer Betrieb gesetzt.

Da das lokale Fernsehen nicht über Akkus für die Lampen verfügte, kam die Berichterstattung über dieses historische Ereignis zum Erliegen. Eigentlich reichte auch das Eingangs-Statement des kanadischen Botschafters, Sprecher der Beobachtergruppe. Denn Fragen zu stellen, gar kritische, ist „noch nicht Teil der neuen äthiopischen Kultur und gilt geradezu als unhöflich“, wie eine äthiopische Kollegin sagt.

Nach diesem Auftakt richtete die JIOG in zwei Zimmern des Hilton- Hotels der Hauptstadt ein Büro ein, wo sie T-Shirts mit einem weit geöffneten Auge als Emblem auf der Vorderseite verteilte. Was sie sonst tut, bleibt ihr Geheimnis.

Wahlbeobachter im Hilton

Bereits beschlossen ist, daß von der Zentrale der JIOG keinerlei Erklärung zum Verlauf der Wahlkampagne und zum Wahlablauf abgegeben wird. Auch sollen sich die nationalen Gruppen vor Ort jedweder Äußerungen über die Wahlen enthalten. Man möchte „die politische Auseinandersetzung nicht zusätzlich anheizen und auch nicht die Beobachter gefährden“.

Das wäre auch schwierig. Wenn die Wahlbeobachter nicht alle im wohlbewachten Hilton bleiben wollen, wie kommen sie auf das unwegsame und in weiten Teilen unsichere Land? Selbst wenn sie sich jedoch zu einem Flug in entferntere Landesteile entscheiden, benötigen sie dort Geländewagen zur Fortbewegung. Die stehen zwar bei UNO, UNHCR, EG, Rotem Kreuz und der bundeseigenen „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) zu Hunderten, fahren aber vor allem in der Hauptstadt auf und ab, besonders samstags bei bürgerlichen Hochzeitsfeiern. Die GTZ mochte ihre teuren Wagen auch auf Bitten des Bonner Auswärtigen Amtes nicht hergeben, denn „man weiß ja nicht so recht, wie heiß die Wahlen denn sein werden und ob eine Beobachter- oder UNO-Flagge allein schon gegen eventuellen Beschuß oder Steinwurf schützen wird“.

So beschränkt sich die Rolle der JIOG, laut kanadischer Botschaft, auf „eine gewisse moralische Kraft“. Nach den Worten des US- Botschafters stellt sie auch eine „vertrauensbildende Maßnahme“ dar. Von der schweigsamen deutschen Botschaft hört man nichts, was aber auch daran liegen mag, daß der letzte Botschafter vor wenigen Wochen das Land in Richtung südfranzösisches Pensionsrefugium verließ und der neue noch nicht seine Akkreditierungspapiere beim Präsidenten überreichen konnte.

Im internationalen Beobachter- Konzert sind die Deutschen dennoch präsent. Fernsehen und Presse — das heißt: Äthiopiens einzige Tageszeitung — meldeten zwar nur die kanadische 50.000-Dollar-Spende, und bei der JIOG-Vorstellung war kein Vertreter der deutschen Botschaft anwesend. Doch bereits vor Wochen hat Bonn insgesamt 500.000 DM bereitgestellt — ein Mehrfaches der kanadischen Summe. 110.000 DM wird die Entsendung der 15 deutschen Beobachter und die zeitweise Anstellung eines lokalen Organisators kosten, der Rest soll an die äthiopische Wahlkommission gehen.

Für 30 Tageshonorare wurde Olaf Neußner angeheuert, bislang bei „Norwegian Church Aid“ in der Flüchtlingshilfe tätig, um die am 13. Juni eingetroffenen Beobachter zu betreuen. Keiner von ihnen spricht Amharisch oder eine der anderen 74 Sprachen Äthiopiens, und für die Beobachtung des Wahlkampfes haben sie nach einem Briefing in Addis Abeba gerade fünf Tage, wenn sie denn in ihren Beobachtungsorten eingetroffen sind.

Olaf Neußner wird sie aber wenigstens bezüglich der bisherigen Briefings briefen können. Perfektionistisch wie immer hatte die US-Botschaft zu ihrem Briefing eine Krankenschwester geschickt, um die teils jugendlichen Beobachter aufzuklären. Nach einiger Weitschweifigkeit kam ihr schließlich der für seine Direktheit bekannte Botschafter Baas mit der lapidaren Empfehlung zu Hilfe: „Ya better practise safer sex!“