Frankreich nimmt erste Maastricht-Hürde

Paris (taz) — Frankreich hat die erste Hürde auf dem Weg zur Ratifizierung des EG-Vertrags von Maastricht genommen. Die Nationalversammlung billigte in der Nacht zum Freitag die Verfassungsreform, die notwendig ist, um die EG-Beschlüsse annehmen zu können. Verfassungswidrig waren bisher die in Maastricht beschlossene Währungsunion, die gemeinsame Einwanderungspolitik und das europäische Wahlrecht bei Gemeindewahlen. Nachdem Nationalversammlung und Senat die Reform im selben Wortlaut bejaht haben, müssen sich beide Kammern im Schloß von Versailles versammeln und die Verfassungsänderung mit Dreifünftel- Mehrheit beschließen. Mitte September sollen die FranzösInnen dann in einer Volksabstimmung über die Annahme der Vereinbarungen von Maastricht entscheiden.

Um die Verfassungsreform durchzusetzen, hatte die Regierung mehrere Rückzieher machen müssen. Dabei kam es insbesondere zu einem Kräftemessen mit dem Senat. Dieser setzte durch, daß das Wahlrecht für europäische AusländerInnen nur als mögliches und nicht als obligatorisches Recht in die Verfassung aufgenommen wird. Zur Überraschung aller Parlamentarier hatte Staatspräsident Mitterrand die Kompromißformel am Donnerstag zunächst abgelehnt, mit der Begründung, der Senat wolle sich dabei Rechte anmaßen, die ihm nicht zustehen. Erst in der Nacht lenkten Präsident und Regierung ein und akzeptierten den Text zur Reform.

Die Abstimmung in der Nationalversammlung spaltete erneut den konservativen Oppositionsblock aus der neogaullistischen RPR und der liberalkonservativen UDF. Wie schon in der ersten Lesung stimmten sozialistische und liberalkonservative Abgeordnete gemeinsam mit 388 Stimmen für die Verfassungsreform. Die 43 Nein-Stimmen gehen auf das Konto der Kommunisten und einiger Maastricht-Gegner aus den Reihen von PS und UDF. Die RPR war der Abstimmung ganz ferngeblieben.

RPR und UDF liegen in Sachen Europa so weit auseinander, daß man sich fragt, ob sie im März noch wie geplant als „Union für Frankreich“ in die Parlamentswahlen ziehen können. Die Kluft hat sich noch vertieft, weil Spitzenpolitiker der UDF gemeinsam mit Regierungspolitikern Debatten über die Europäische Union veranstaltet hatten. Dabei saßen die Oppositionsführer Giscard d' Estaing und Leotard neben Premierminister Beregovoy und Europaministerin Guigou auf dem Podium.

Das Thema Europa hat zudem die RPR selbst gespalten. Ein Flügel der Partei unter Führung des früheren Innenministers Pasqua und des Abgeordneten Seguin macht gegen Maastricht Stimmung. Chirac will den EG-Beschluß hingegen durchsetzen, um sich als Präsidentschaftskandidat nicht zu disqualifizieren.

Die Grünen haben sich zu einem „bedingten Ja“ zu den EG-Beschlüssen durchgerungen. Sie sind jedoch der Ansicht, daß der Vertrag „die Minimalbedingungen für eine Reform der Gemeinschaft nicht erreicht“. Die Partei fordert Präsident Mitterrand daher auf, beim europäischen Gipfel in Lissabon konkrete Schritte in Sachen Demokratie, Umweltschutz und Sozialpolitik einzuleiten. Da der Vertrag angeblich nicht neu verhandelt werden kann, sollen die „Verbesserungen“ nach Vorstellungen der Grünen in der Präambel des französischen Ratifizierungsgesetzes festgelegt werden. Von der Reaktion auf ihre Forderung wollen die Grünen ihre endgültige Position abhängig machen, die sie daher erst kurz vor dem Referendum treffen wollen. Bettina Kaps