Nur Fliegen ist schöner

■ Genuß ohne Reue mit der Sonnencreme aus dem Bioladen

Der Steward setzt sein Lächeln auf. Mit ausgestreckten Handflächen weist er auf die Notausgänge, schwenkt eine Sauerstoffmaske, drückt sie dann auf Mund und Nase. „Im Falle eines plötzlichen Druckabfalls...“, erklärt eine monotone Frauenstimme. „Schon x-Mal gehört,“ denkt Simone gelangweilt und freut sich auf das Kribbeln in der Magengegend, wenn der Jumbo gleich über die Startbahn rast. Simone gehört zu den 10,2 Millionen Deutschen, die ihr Ferienziel mit dem Flugzeug ansteuern — das ist fast jede/r vierte UrlauberIn.

Der Motor wird lauter, langsam rollt die Maschine über die Piste. Während es in Simones Eingeweiden kribbelt, verbrennt das Triebwerk in der ersten Minute des Starts 500 Kilo Kerosin — und pufft damit rund 18 Kilo Stickoxide in die Luft: das sind mehr als 300.000 Ölheizungen zusammen — eine Menge, die in sechs Turnhallen konzentriert tödlich wirken würde. Da sich das Stick- und Kohlendioxid aber weiträumig verteilt, kippen Simones Zeitgenossen nicht sofort um, sondern bekommen die vom Flugverkehr mitverursachten Ozonkonzentrationen lediglich an sonnigen Sommertagen durch Kopfschmerzen und Augenbrennen zu spüren.

Während Simone entrückt tief unter sich den Schwarzwald entdeckt, nascht sie ein Kilo Trauben aus Südafrika. Etwa vier Liter Kerosin waren nötig, um sie zu ihr zu bringen. „Cape darf man jetzt ja wieder“, freut sie sich. „Wir sind inzwischen auf 9.000 Meter Höhe“, verkündet der Pilot über den Lautsprecher. Simone schaut aus dem Fenster und entdeckt in der Ferne den weißen Kondensstreifen eines anderen Fliegers. „Sieht ja eigentlich ganz hübsch aus“, denkt sie und versucht, ihre ökologischen Bedenken gegen diesen ästhetischen Genuß mit vagen Erinnerungen aus dem Physikunterricht zu bekämpfen: Kondensstreifen entstehen aus Wasserdampf. „Das kann ja eigentlich nicht schädlich sein.“

Doch hier irrt Simone. Denn die so entstandenen Eiskristallwolken lassen zwar Sonnenlicht und -wärme zur Erde vordringen, verhindern aber die Rückstrahlung in den Orbit: ergo, sie wirken wie ein Treibhausdach. Ein weiteres Fenster zum Himmel versperren die Stickoxide, die in dieser Höhe 30 Mal mehr Ozon als in Bodennähe erzeugen. Der Schweizer Ingenieur und Luftverkehrsexperte Robert Egli schätzt, daß die bereits vom Menschen verursachte globale Temperaturerhöhung von etwa 0,7Grad zu einem Drittel auf Flugzeuge zurückzuführen ist.

Endlich verlöscht das Lämpchen über dem Sitz und erlaubt das Aufstehen. Leider aber ist damit auch die Qualmerei nicht mehr verboten, und Simone stellt verärgert fest, daß sich ihr Nachbar sofort einen Glimmstengel in den Mund schiebt. „Wir haben jetzt unsere vorgeschriebene Flughöhe von 12.000 Metern erreicht“, meldet der Pilot — schade für die Stratosphäre, die über Mitteleuropa etwa auf 10.000 Meter Höhe anfängt. Hier entwickeln die Stickoxide genau die entgegengesetzte Wirkung wie in Bodennähe: sie bauen Ozon ab — und das sehr erfolgreich, weil sie sich hier einer monatelangen Lebensdauer erfreuen. Wo das Stickoxid schon Löcher in die Decke gefressen hat, können die UV-Strahlen ungefiltert passieren. In Neuseeland ist die Hautkrebsrate bereits deutlich angestiegen. Aber Simone mag daran jetzt grad nicht denken. Sie hat eine Sonnencreme aus dem Bioladen im Gepäck, und außerdem will sie sowieso nicht den ganzen Tag braten. Und überhaupt, jetzt ist Urlaub, und wenn sie nicht fliegt, fliegt jemand anderes — vor allem diese Geschäftsleute jetten dauernd durch die Gegend, da kann man doch auch einmal im Jahr — einfach nur genießen. Annette Jensen