Kerosin im Kopf, einen Joystick im Herzen

■ Nach 64 Jahren wird in Berlin wieder eine Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung inszeniert/ Eine halbe Million Besucher begeistern sich an der Militärschau/ Vor allem Männer ...

Kerosin im Kopf, einen Joystick im Herzen Nach 64 Jahren wird in Berlin wieder eine Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung inszeniert/ Eine halbe Million Besucher begeistern sich an der Militärschau/ Vor allem Männer betrachten das Ganze als Spielzeugmesse, die mit Krieg und Frieden angeblich nichts zu tun hat/ Für heute ist eine antimilitaristische Demonstration angekündigt

Die Mütze des russischen Offiziers ist ungefähr so groß wie eine Tortenplatte. Offenbar standen Hutgröße und Dienstgrad der Rotarmisten in einem proportionalen Verhältnis zueinander, nach dem Motto: Mütze breit, alles gut. So sehr der Militär auch seinen Hals verrenkt, den Kopf nach links oder rechts oben hebt und dabei gebannt in den von Düsenjets bevölkerten Himmel starrt: Der Kopfdeckel fällt einfach nicht runter. Er entwickelt bei näherer Betrachtung vielmehr Ähnlichkeit mit einer in der Luft schaukelnden fliegenden Untertasse.

Seit ein paar Tagen flitzen viele dieser russischen Obermützen auf dem Südgelände des Flughafen Schönefeld herum. Dort, wo früher die Oldtimer der rumänischen Fluglinie „Nightmare Airlines“ rucksacktragende WestberlinerInnen an Bord nahmen, um sie für wenig Geld ins billige Griechenland zu verfrachten, bewundern die kurz vor der Abwicklung stehenden Soldaten noch einmal die wichtigsten Fluggeräte des untergegangenen Sowjetimperiums. Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung, die nach 64 Jahren wieder in den Süden Berlins zurückkehrte, bestaunen die Rotarmisten die versengte und angerostete Raumkapsel der Sojus TM13, blicken mit Stolz auf den 22 Meter langen Kampfbomber MIG31 und sein Brüderchen MIG29 und strahlen über den Hubschrauber MI26, der vor sechs Jahren über Tschernobyl im Einsatz war. Wer unbedingt will, darf ihn auch streicheln. Die Veranstalter der ILA'92, die bisher in Hannover ausgerichtet wurde, sind stolz darauf, daß die Branche aus GUS-Land eingeflogen ist. Sonst könnte beim internationalen Fachpublikum der Eindruck entstehen, daß die Ausstellung überflüssig ist: Schließlich gibt es schon in Paris und in London einmal pro Jahr eine Flugmesse. Die ILA soll ganz anders sein als die anderen: eine Drehscheibe des Ost-West-Handels und eine Ausstellung, die den Zivilflug protegiert und, so hoffte Brandenburgs Landespapa Stolpe, „ökologisch Sinnvolles“ demonstriert.

Wwwrooooaamm!!! Soeben sind dem russischen Offizier beide Ohren abgefallen, das hätte auch der größte Hut nicht verhindern können. Fünf deutsche Kampfflugzeuge, deren Typ er in der kerosinerfüllten Luft auf die Schnelle nicht erkennen konnte, bretterten in 100 Meter Höhe über seinen Kopf. Was die Flugzeuge dort veranstalten, kennen wir aus dem rheinland-pfälzischen Ort namens Ramstein: Kunstflug, heute unblutig, heute ohne den Geruch verbrannter Haut und versengter Haare. Die Menschen, die die ILA besuchen — eine halbe Million sollen es bis morgen werden —, finden Kunstflug gut. Überhaupt alles, was irgendwie mit Technik zu tun hat. Immerhin: jeder zehnte ILA-Besucher ist eine Frau. Alle von der taz beobachteten weiblichen ILA-Gäste befanden sich im Schlepptau eines Mannes, der eine Plastiktüte mit Bundeswehraufdruck oder eine Videokamera in der rechten Hand oder vor der Stirn hielt. Viele Männer und viele kleine Jungs nutzten die Gelegenheit, mit dem Bundeswehrpiloten Gmeinhuber (sic!) vor dem Kampfbomber Tomahawk (Hugh!) ein wenig zu fachsimpeln. Gmeinhuber (Schnauzbart, Goldkettchen, Uniform) ließ die Männer (Mittelscheitel, Spiegelbrille, Freizeithose) ins Cockpit schauen. Interessant! Jede Menge Knöpfchen, funkelnde Leuchtdioden, Tachometer, Barometer — Elfmeter.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen. Den Traum vom Fliegen kann man sich heutzutage auch im Wohnzimmer erfüllen. Oder in HalleF. Dort drängeln sich vor einer Airbus- Attrappe Dutzende Menschen und blicken fasziniert auf eine im nachgebauten Cockpit installierte Leinwand. Simuliert wird gerade ein Flug von Berlin-Schönefeld nach Frankfurt/Main, der 18jährige Pilot hockt vor einem Personal Computer. Auf nicht mal einem Megabite haben die Softwarefuzzis 100 europäische Flughäfen und sämtliche Funkfeuerprogramme gespeichert. Der Pilot muß nun, unter strenger Beachtung aller möglichen Angaben wie Höhe, Geschwindigkeit und Benzinvorrat, seine Maschine von A nach B „in Echtzeit“ bewegen. Fehler werden mit Absturz bestraft. Das Spiel, das zum Messepreis von 100Mark zu haben ist und neben Disketten auch Flugkarten und Kalkulationstabellen enthält, ist ein absoluter Renner. Über 60.000 Stück haben die Hersteller schon verkauft. „Wir setzen sonst im Durchschnitt nur 6.000 pro Spiel ab“, erklärt ein Mitarbeiter. Gemeinsam mit der Deutschen Lufthansa und Airbus tüfteln die Programmierer zur Zeit daran, „nicht nur Europa, sondern die ganze Welt auf einer Diskette unterzubringen“. Als nächstes kommen dann Flüge zum Mond, zum Mars, zur Milchstraße. Das Geheimnis des Erfolges dieses Programms: bis auf die Tatsache, daß man mit beiden Beinen auf dem Boden bleibt, ist alles „echt“. Ein Flug von Berlin nach Paris dauert knapp zwei Stunden, so wie im richtigen Leben. Ein Joystick reicht bei weitem nicht aus, um die Gefahren zu meistern; der Pilot muß rechnen, kalkulieren, planen. Wer den Computer-Airbus fliegt, hat Flugzeuge im Bauch.

Die ILA ist die größte deutsche Spielzeugmesse für Männer. Alles scheint handhabbar, alles nur eine Frage der Technik zu sein. Krieg gibt es nur im Fernsehen. Die amerikanischen Piloten, die vor ihren Kampfbombern stehen, werden nur gefragt, wie schnell ihre Kisten fliegen, wieviel Kerosin sie verbrauchen, wie groß die Reichweite ist. Die Golfpartie ist längst vergessen. Auch Afghanistan hat es nie gegeben: „Mich interessiert bloß die Technik“, sagt der 17jährige Stefan aus Spandau, der sich von einem russischen Piloten die Funktionsweise seines Kampfhubschraubers erklären läßt. Stefan weiß Bescheid. Die Bismarck war ein beschissenes Schlachtschiff. „Ein Volltreffer in die Munitionskammer: bumm.“ Auch über Abstürze ist er gut informiert. Vor kurzem, so berichtet er, flog ein Düsenjäger bei Hannover in eine Stromleitung. „Nix passiert. Bloß ein paar Verbrennungen. Schleudersitz.“ Ramstein? „Alles halb so wild“, meint der Jüngling. „Auf der ILA in Hannover haben die Briten vor ein paar Jahren dieselbe Formation geflogen. Die konnten das, die Italiener können nicht fliegen. Hat man doch am Golf gesehen, sind doch alle abgeschossen worden, die Italiener. Alles eine Frage des Könnens.“

Manfred Stolpe hatte sich eine Ausstellung gewünscht, die das „technisch Machbare“ zeigt und zivile und ökologische Innovationen präsentiert. Das hölzerne Jäger-90- Modell, das auf der ILA zu sehen ist, hielt er für ein trojanisches Pferd und boykottierte die Eröffnungszeremonie. Inzwischen war Stolpe doch noch da. In einem Gespräch mit dem Präsidenten des Bundes der Deutschen Luftfahrtindustrie in Schönefeld seien „alle Mißverständnisse ausgeräumt worden“. Es sei auch die Frage von Arbeitsplätzen im Land Brandenburg erörtert worden, meldete eine Messezeitung: Mercedes siedelt halt im brandenburgischen Ludwigsfelde. Stolpe hat das trojanische Pferd akzeptiert. Vielleicht klettern ja noch mehr Unternehmen aus seinem hohlen Bauch?

In HalleD prüft das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung das Wissen des 50jährigen Neubundesbürgers Jürgen aus Cottbus. „Wieviel Länder hat die EG? Sechs, zwölf oder 24?“ fragt eine Moderatorin, die mit Jürgen auf einer Talk- Show-Bühne steht. Etwa 50 Menschen gucken zu. Er weiß es nicht genau, druckst rum, starrt in die Luft: „24?“ „Leider falsch, Jürgen. Macht aber nix. Diesen wunderschönen Bildband über Deutschland hast Du trotzdem gewonnen.“

Herbert ist schlauer. Der Bundeswehrsoldat weiß zwar nicht, daß der Bundestag vom Volk und nicht vom Bundesrat gewählt wird, trotzdem hat er die meisten Punkte gemacht. „Super, Herbert. Du kommst in die Endausscheidung. Da verlosen wir einen Flug für zwei Personen nach Paris!“ Herbert ist froh. Auf den Erfolg trinkt er ein Clausthaler am Nachbarstand, alkoholfrei und billig, heute nur eine Mark pro Glas. Der Reinerlös kommt Unfallopfern zugute, die Nervenschäden davongetragen haben. Ramstein? Nicht immer. Aber immer öfter. Claus Christian Malzahn