Aufstand beim Sozialamt

■ MitarbeiterInnen sind überlastet und verweigern neue Dienstanweisungen

Im Amt für Soziale Dienste West geht bald nichts mehr, möglicherweise werden Sozialhilfeempfänger im Waller Volkshaus bald vor verschlossenen Türen stehen. Die MitarbeiterInnen fühlen sich nicht mehr in der Lage, die Arbeit ordnungsgemäß weiterzumachen wie bisher: Massive Sparquoten, personelle Engpässe, zu hohe Fallzahlen und steigende inhaltliche Anforderungen treiben die Mitarbeiter jetzt auf die Barrikaden.

Der Auslöser für den Konflikt: Das Amt für Soziale Dienste soll an Sozialhilfeempfänger die Berechtigungsscheine für verbilligte Bremer Karten ausstellen. Jetzt ist das Faß übergelaufen, die MitarbeiterInnen wollen nicht mehr. „Was sollen wir denn machen, uns steht das Wasser bis zum Hals“, beschrieb ein Sachbearbeiter die Lage im Amt.

Seit dem Senatsbeschluß über die Bremer Karte tobt ein wilder Briefwechsel zwischen der Amtsleitung, dem Personalrat und den SachbearbeiterInnen. Der Personalrat kritisiert, die Mehrarbeit sei mitbestimmungspflichtig und will das vor dem Verwaltungsgericht klären lassen. Die Behörde sieht das natürlich anders.

Die MitarbeiterInnen haben die Unterlagen für die Berechtigungsscheine der Bremer Karte samt Dienstanweisung zurückgeschickt, diese aber postwendend wiederbekommen. „Mein Bemühen (wird) weitergehen, Ihre Arbeitssituation zu verbessern,“ schrieb Sachgebietsleiter Hartung in der Antwort an die Mitarbeiter.

Die haben jetzt das Gefühl, von den Verantwortlichen nicht ernstgenommen zu werden. Sie haben samt und sonders Überlastungsanzeigen an die Senatorin und die Amtsleitung geschickt, genauso wie die AbschnittsleiterInnen für Gröpelingen, Walle und Findorff. Akribisch werden dort die Belastungen der Abteilungen und der einzelnen Mitarbeiter ausgeführt.

Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 1977 wurde die Anzahl der Sozialhilfefälle festgelegt, die jede SachbearbeiterIn zu betreuen hat: 92,5. Die Klientenstruktur und die Arbeitsbelastung pro Fall haben sich jedoch seidem drastisch verändert: „Früher ist die Oma mit Hund gekommen“, erzählt eine Sachbearbeiterin. „Heute kommen jüngere Leute mit viel komplexeren Sachlagen. Da braucht man viel mehr Zeit.“ Schon lange beklagen die MitarbeiterInnen diesen Mißstand, seit langem versuchen sie auch, mit der politischen Führung darüber ins Gespräch zu kommen. Doch ebenso lange werden sie von oben hingehalten.

Nichts hat sich zum Positiven verändert. Im Gegenteil: Das Ausscheiden einer SachbearbeiterIn reicht aus, eine Abteilung ins Chaos zu stürzen, wenn niemand auf die freigewordene Stelle nachrückt, was mittlerweile die Regel ist. Die Akten werden einfach auf die anderen KollegInnen verteilt. In der Überlastanzeige des Abschnittes Gröpelingen I heißt es: „Nach Abschluß der Aktenumverteilung hat jede(r) Sachbearbeiter(in) in Gröpelingen I eine Fallbelastung von 108 laufenden Fällen plus 3 Asylbewerberakten aus Gröpelingen III, d.h. 111 laufende Sozialhilfefälle.“ Der Krankenstand beim Sozialamt liegt nach Angaben von Mitarbeitern deutlich über dem Behördendurchschnitt. Viele MitarbeiterInnen bewerben sich Hals über Kopf wieder vom Sozialamt weg. Die durchschnittliche Jahresfluktuation im Öffentlichen Dienst liegt bei drei Prozent, beim Sozialamt bei 16 Prozent.

Bei einer Dienstbesprechung am Freitag versprach der Regionalleiter Hans Leppin die Einrichtung einer senatorischen Arbeitsgruppe zu einem neuen Personalentwicklungsplan und kurzfristig einige Beförderungsstellen. Die Arbeit wird dadurch nicht reduziert und den MitarbeiterInnen ist das zu wenig. Sie kündigen schon mal Arbeitsverweigerung an. Eine Mitarbeiterin: „Die können uns zwar Disziplinarverfahren anhängen und uns mit allem Möglichen drohen, aber damit schaffen wir die Arbeit auch nicht.“

Dann könnte passieren, was in einer Überlastungsanzeige schon vorgeschlagen war. Man könne den Sozialhilfeempfängern ja einen Brief schreiben: „...möchten wir Sie davon in Kenntnis setzen, daß wir die Bearbeitung Ihres Erstantrages usw. auf unabsehbare Zeit nicht gewährleisten können. Bei Beschwerden wenden Sie sich bitte direkt an unsere senatorische Behörde.“ Jochen Grabler