Zerrt Berlin die Bonner vor den Kadi?

■ Senat will Bonn entschiedener zu Finanzhilfe auffordern/ Senatsklausur: BVG-Tariferhöhung zum 1. Januar/ Nur noch 100.000 Studenten

Berlin. Drastische Einsparungen über das Jahr 1993 hinaus und ein schärferes Vorgehen gegenüber Bonn — darauf verständigte sich der Senat gestern dem Vernehmen nach auf einer Klausursitzung, die bei Redaktionsschluß noch andauerte. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) forderte die Bundesregierung am Rande der Sitzung auf, »endlich als Partner« Berlins zu agieren, Berliner Rechtspositionen zu beachten und »Zusagen einzuhalten«. Wie es hieß, will der Senat gegebenfalls gegen die vom Bund geplanten drastischen Kürzungen der Berlin-Hilfe mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht vorgehen.

Die Senatsrunde, die bis in den späten Abend den Haushalt für 1993 beraten wollte, verständigte sich auf eine grundlegende Reform der BVG. Zum 1.Januar 1993 sollen die Tarife im Ostteil auf 90 Prozent des Westniveaus, die im Westteil um durschnittlich fünf Prozent angehoben werden. Bereits 1993 sollen die kürzlich von den Koalitionsfraktionen geforderten Schritte zur Busbeschleunigung und Parkraumbewirtschaftung realisiert werden und ebenfalls zusätzliche Einnahmen in die Kassen bringen. Dieses Bündel von Maßnahmen, zusammen mit einer Rationalisierung der BVG-Verwaltung, soll den Zuschußbedarf der Verkehrsbetriebe von jetzt 1,5 auf eine Milliarde im Jahr 1995 senken.

»Einschneidende Maßnahmen«, so hieß es weiter, seien auch bei den Hochschulen geplant. Die Runde verständigte sich darauf, die Hochschulkapazitäten auf eine »Höchstlast« von 100.000 Studenten zu senken. Zur Zeit hat Berlin 145.000 Studenten. Über die Zukunft des Klinikums Steglitz war bei Redaktionsschluß nicht entschieden.

Mit dem Segen von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) einigte der Senat sich auf die Streichung des »sozialen Mietausgleichs«, der einkommensschwachen Sozialmietern in West-Berlin seit 1984 gewährt wird. Auch das Familiengeld, als weitere Berliner Sonderleistung, soll reduziert werden, während eine Streichung des Berliner Pflegegeldes noch auf den Widerstand von Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) stieß. Ebenfalls auf der Tagesordnung stand die Frage, ob die Stadt eines der drei Opernhäuser schließen sollte. Daneben standen Forderungen, den Verfassungsschutz deutlich abzuspecken. Im Vorfeld der Sitzung hatte Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) erklärt, es sei zwar »nicht sicher«, daß ein ganzes Opernhaus geschlossen werde. Dennoch müsse es im Kulturetat Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe geben. Die »produktiven Investitionen« beim Bau und der Modernisierung von Wohnungen sollten dagegen steigen. Pieroth forderte gleichzeitig den Bund auf, Berlin nicht »an den Rand der Finanzkatastrophe zu treiben«. Eine Reduzierung der Bundeshilfe von jetzt 13,1 Milliarden auf 9,6 Milliarden im Jahr 1993 könne die Stadt »einfach nicht finanzieren«.

Zu Beginn ihrer Sitzung um 14 Uhr wurden die Senatoren und Senatorinnen vor dem Senatsgästehaus in der Menzelstraße von etwa 50 Erziehern, Eltern und Kindern empfangen, die gegen eine Erhöhung der Gruppengrößen in den Kitas demonstrierten. Sie bedachten Diepgen und Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) mit gellenden Pfeifkonzerten.

Mit »Bestürzung« und »Entsetzen« hatten am Wochenende der Personalrat und der Intendant der Deutschen Oper auf Meldungen reagiert, ihre Bühne könnte geschlossen werden. Die Deutsche Oper »war und ist das größte und bisher leistungsstärkste Opernhaus dieser Stadt, international viel geachtet und beglaubigt«, erklärte Indendant Götz Friedrich. Auf den Protest der Fraktion Bündnis 90/Grüne stießen die Überlegungen, das Klinikum Steglitz in ein städtisches Krankenhaus umzuwandeln. Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Bernd Köppl, erklärte es zum »gesundheits- und wissenschaftspolitischen Skandal«, daß die »im Augenblick am besten funktionierende medizinisch-wissenschaftliche Einrichtung in Berlin« in Frage gestellt werde. Eine Umwandlung in ein städtisches Krankenhaus würde kurzfristig sogar zusätzliche Kosten verursachen, erklärte der Abgeordnete. Allein 1992 würde die Klinik 100 Millionen Mark an Bundes- und Drittmitteln verlieren. hmt