KEINE FUSSBALLER, SONDERN FLIPPER-AUTOMATEN Von Ralf Sotscheck

Die IrInnen sind nicht nachtragend. Es sei denn, es geht um Fußball. Der Anblick der englischen Mannschaft bei den Europameisterschaften in Schweden öffnet in Irland alte Wunden. England hatte nämlich nur mit unverschämtem Glück das irische Team in der Qualifikationsrunde ausgeschaltet. Doch die Stunde der Rache naht. Das irische Fernsehen RTE hat die seit Jahr und Tag bewährte Expertenrunde im Studio versammelt: Moderator Bill O'Herlihy und die beiden Ex-Fußballer Johnny Giles und Eamonn Dunphy analysieren jedes Spiel gewissenhaft. Die Zuschauerfolter wird durch einen elektronischen Stift verschärft, mit dem Giles und Dunphy weiße Kreuze, Pfeile und Kornkreise auf den Bildschirm malen. Bei den englischen Spielen laufen beide zur Höchstform auf: „Der englische Fußball ist eine Beleidigung fürs Auge“, trumpft Dunphy auf. „Die Spieler sind technisch völlig unbedarft. Das sind keine Fußballer, sondern Flipper-Automaten: Seht nur, wie ihnen der Ball vom Fuß wegspringt.“ Das beliebteste Haßobjekt ist der englische Trainer Graham Taylor. „Ha ha ha, das ist ja surrealistisch. Der Mann redet kompletten Blödsinn“, klopft sich Giles nach einem Taylor-Interview vergnügt auf die Schenkel. „Er hätte Politiker werden sollen“, fügt Dunphy gehässig hinzu und bringt die anglo-irischen Beziehungen vorübergehend in Gefahr.

Doch selbst wenn die Engländer gar nicht spielen, kommen sie nicht ungeschoren davon. „Ich hoffe, Taylors Tölpel sitzen jetzt vor dem Bildschirm“, meint Giles beim Match zwischen Dänemark und Schweden. „Da können sie was lernen.“ Leider hat Giles vergessen, die ausländischen Namen der Akteure zu lernen. „Dieser blonde Spieler da“, versucht er die Aufmerksamkeit auf Bergkamp zu lenken, was angesichts von 22 Skandinaviern auf dem Platz natürlich schiefgeht. „Bergman“, kommt Dunphy ihm zu Hilfe, läßt dabei jedoch offen, ob er Ingmar oder Ingrid meint. Dunphy ist für die irischen Fußballfans ein rotes Tuch, nachdem er es bei den Weltmeisterschaften vor zwei Jahren gewagt hatte, Jack Charlton — den englischen Trainer des irischen Teams — zu beleidigen. Seitdem hat er bei Charltons Pressekonferenzen Hausverbot, und die Fans tragen T-Shirts, auf denen Dunphy als Kamel abgebildet ist.

Das letzte Vorrundenspiel zwischen Holland und Deutschland erklären Giles und Dunphy zum Spiel des Jahrzehnts. Der elektronische Stift hüpft über den Bildschirm und weist zweifelsfrei das hervorragende Stellungsspiel beider Teams nach. „Die englischen Spieler wären jetzt in diese Richtung gelaufen“, behauptet der niederträchtige Giles und malt einen Pfeil in Richtung Stadionkneipe. Deutsche Irland-Urlauber warten während der 30minütigen Analyse vergeblich auf das Ergebnis des Spiels der Schotten gegen die GUS. Die deutsche Mannschaft kommt nach der Niederlage gegen Holland nämlich nur ins Halbfinale, wenn die GUS im parallel ausgetragenen Match nicht gewonnen hat. Da RTE das Spiel zeitversetzt senden will, halten die Experten dicht — vorerst jedenfalls. Nach der achten Wiederholung des deutschen Tores bricht der Moderator das grausame Geschehen ab. „Bevor wir zum Spiel Schottland gegen GUS umschalten, noch ein Tip fürs Endspiel, Gentlemen“, sagt O'Herlihy. „Deutschland und Holland“, kräht Dunphy wie aus der Pistole geschossen. „Äh... Hab' ich jetzt was verraten?“