„Die Waffendealer, das sind wir!“

Der Feind im Osten ist verschwunden — zähneknirschend verscherbelt Frankreich, die Grande-Atom-Nation, seine Mirages und Hades nach Asien  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Durch den blutroten Himmel jagt eine Rakete, Panzer und Kampfhubschrauber drängen voran: Das Plakat zum Rüstungssalon „Euro Satory 92“ signalisiert Angriffswillen. Das Treffen der Waffendealer in Le Bourget bei Paris „muß ein Erfolg sein“, beschwören die Veranstalter. Bis zum Samstag präsentieren 400 europäische Rüstungsfirmen ihre todbringende Ware.

276 Milliarden Francs für die killende Ware

Verteidigungsminister Pierre Joxe bemüht sich, der französischen Rüstungsindustrie beim Export den Rücken zu stärken. Denn im Inland ist Beschränkung auf das „strikt Notwendige“ angesagt. Der für 1992 verabschiedete Verteidigungshaushalt war erstmals rückläufig; betrug nach Berechnungen des „Forschungszentrums für Frieden und Konflikte“ in Lyon mit 276 Milliarden Francs (rund 92 Milliarden D- Mark) jedoch immer noch ein Fünftel des Staatshaushaltes.

Das künftige Gesetz zur „militärischen Programmierung“ streicht die militärische Einkaufsliste indes zusammen. Weil immer unklarer wird, wo der Feind eigentlich sitzt, will Frankreich vor allem sein Atomarsenal verringern. So teilte die Militärbehörde DGA der Gruppe Aerospatiale mit, daß das Programm zum Bau der Atomrakete Hades eingestellt wird und die fast fertiggestellten ersten 30 Exemplare verschrottet werden. Mit einer Reichweite von 350 bis 480 Kilometern hätte die Rakete mit einer Zerstörungskraft von 80 Kilotonnen auch deutsches Gebiet anvisiert. Die Zahl der Kurzstreckenrakete Pluton soll verringert werden, ebenso die mit Plutoniumbomben bestückten Mirage-IV-Geschwader, die Mirage 2000-N- Schwadronen und die in Albion stationierten Mittelstreckenraketen. Von den fünf Atom-U-Booten werden nur noch zwei Patrouille fahren. Auch bei Panzern, Hubschraubern, Flugzeugen muß gespart werden; die Zahl der Kampfflugzeuge soll bis 1994 von 450 auf 390 sinken.

Das Verteidigungsministerium ermutigte die Waffenhändler, den asiatischen Markt zu erobern. Nach den Mißerfolgen in Europa offenbarte sich Joxe erstmals im Rundfunk als Lobbyist für die Industrie. Er forderte Präsident Mitterrand auf, so bald wie möglich grünes Licht für eine Waffenlieferung an Taiwan zu geben. Das zahlungskräftige Land will bis zu hundert Kampfjäger vom Typ Mirage 2000 im Wert von über 80 Milliarden Francs kaufen. Mitterrand muß nun zwischen den Interessen des Verteidigungsministers und denen des Außenministers wählen, der Spannungen mit China fürchtet. Peking mußte letztes Jahr bereits den Verkauf von sechs Fregatten an Taiwan schlucken. Paris hatte beteuert, die Schiffe seien unbewaffnet. Eine andere französische Firma lieferte indes heimlich elektronische Raketenabwehrausrüstung nach. Auch Pakistan möchte französische Bomber kaufen. Dem steht aus Pariser Sicht nur ein finanzielles Hindernis im Wege: Der langjährige Kunde hat bereits hohe Schulden.

Friedenskämpfer sind Franzosen höchst suspekt

Falls Islamabad einen glaubwürdigen Finanzplan vorlegen kann, soll es zwischen 20 und 40 Flugzeuge vom Typ Mirage 2000 erhalten, drei Angriffs-U-Boote vom Typ „Agosta“ mit neuen Waffensystemen und drei Radarsysteme sind dem Land ebenfalls versprochen. Frankreich begründet die Verkaufsbereitschaft mit strategischen Argumenten. Pakistan müsse gegenüber seinem mächtigen indischen Nachbarn gestärkt werden, denn wenn das Ungleichgewicht zu groß werde, könne es sich gezwungen fühlen, die Atombombe zu bauen. Zu dem militärischen Ungleichgewicht hat Frankreich beigetragen: Die indische Luftwaffe besitzt rund 100 Mirage-Bomber.

Proteste gegen den Waffenhandel mit Dritte-Welt-Ländern oder Regimen, die die Menschenrechte ignorieren, werden in Frankreich nie sehr laut. In der grande nation gilt Verteidigung und Rüstung allenfalls als notwendiges Übel, Pazifisten werden des Vaterlandsverrats verdächtigt. Selbst der Golfkrieg brachte den Waffenhandel nur einen kurzen Moment in Verruf. Im März 1991 verglich der damalige Parlamentspräsident und heutige Sozialistenchef Laurent Fabius Waffen mit Drogen und sagte reumütig: „Die Dealer, das sind wir.“

Mit einer glatten Lüge reagierte der Vorsitzende der parlamentarischen Verteidigungskommission, Boucheron, auf eine Kampagne der Bürgerbewegung „Agir ici“ für eine parlamentarische Kontrolle der Waffenverkäufe. Frankreich exportiere seine Waffen weder in kriegerische Länder noch in Länder, die die Menschenrechte verletzten, behauptete der PS-Politiker. Budgetminister Charasse erklärte im Parlament sogar, der Rüstungsexport basiere auf einer Politik, die sich um Abrüstung bemühe. „Agir ici“ ist überzeugt: „Sobald es um Rüstungsfragen geht, herrscht Heuchelei.“

430.000 Franzosen leben vom Rüstungsschacher

Bis heute sind die Details des Waffenhandels Staatsgeheimnis. Das Parlament wird nur allgemein über die Exporte nach Waffentyp und geografischer Zone informiert. Kritik daran ist tabu; es besteht ein nationaler Konsens, daß Frankreich in der Rüstung autonom sein müsse. Tatsächlich produziert das Land 96 Prozent seiner Waffen.

Bei knapp drei Millionen Arbeitslosen liefert der Hinweis auf die Beschäftigungspolitik der Rüstungsindustrie ein zusätzliches Druckmittel. Der militärisch-industrielle Komplex beschäftigt in Frankreich 250.000 Menschen, davon arbeiten etwa 50.000 direkt für den Export. Indirekt hängen weitere 130.000 Stellen an diesem Industriezweig. Das Verteidigungsministerium schätzt, daß in den nächsten drei Jahren 100.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Besonders betroffen davon wäre die Bretagne, wo die Waffenindustrie jeden fünften industriellen Arbeitsplatz stellt.

Unverdrossen setzen die Kanonenhändler nun noch mehr als bisher auf den Export — und auf eine aktivere Unterstützung der Regierung. Den Verteidigungsminister haben sie auf ihrer Seite, denn Joxe ist ein Vertreter der Milchmädchenrechnung, wonach der Export angeblich „den Serieneffekt verstärkt, die Kosten senkt, die industrielle Eigenfinanzierung fördert“ und damit den Staatshaushalt entlastet.

Der Kampfbomber Mirage-2000- 5 wurde speziell für den Export entwickelt. Da es mit dem Verkauf nicht klappt, will Dassault das Modell nun der französischen Luftwaffe andrehen — die es gar nicht haben will. Dassault argumentiert, Ausländer kauften kein Material, das die nationale Armee nicht abgesegnet habe. Der Vorsitzende der parlamentarischen Verteidigungskommission unterstützt den Vorschlag. Falls Joxe dem Druck nachgebe, würden statt unwilliger ausländischer Kunden die französischen SteuerzahlerInnen blechen.