Unter das Messer gekommen

■ Kannibalen-Nummer der Filmzeitschrift 'Splatting Image‘ wurde indiziert

Jeder kennt diesen Spruch: Ich lese, aber nicht nur Böll. Auf den Filmsektor übertragen, würde dies sinngemäß bedeuteten: Ich mag Kino. Aber nicht nur das, was durch eine werbeintensiv gepushte Konsens-Rezeptionsästhetik standardisiert in die großen und auch in die kleinen Kinos kommt. Gemeint sind weder Kunst-, Independent-, Mainstream- oder sonstige hochkulturell wertvolle Filmwerke, sondern das unendlich große Feld der namenlosen Filmproduktion zwischen Spaghetti-Splatter, Tortellini-Terror, Gnocki- Gore, Gummiklinik, Hongkongfilm, True Crime, Snuff, Godzilla und Troma. Kurzum: jener unendlich vielfältige, unter Wasser befindliche Teil des Eisbergs der Filmproduktion, der — außer im legendären 'Howl‘-Magazin — von jeder „seriösen“ Filmgazette gemieden wird wie Ausschlag, Pickel, Aids und Depression.

Das Blatt 'Splatting Image‘ aus Berlin präsentiert diesbezüglich seit einigen Jahren eine überaus beeindruckende Archäologie des Zelluloid-Abfalls, immer wieder verblüffend und spannend zu lesen. Was das 'Spex‘-Magazin für den Musikbereich, ist das 'Splatting Image‘ (vom ZDF-Kulturmagazin Aspekte einmal dumpf mit „blutige Leinwand“ übersetzt — weil der Schriftzug rot ist) für den Filmbereich.

Mit dem Unterschied, daß Populäres hier nur am Rande behandelt wird. Ähnlich wie in 'Spex‘ ist jedoch der Sprachduktus, der sich mit einem geradezu unerschöpflichen Humor der gediegenen, „bürgerlich-kritischen“ Haltung des Kultur-Establishments zu entziehen versteht.

Genau das war der Grund für die Indizierung der Nr. 8 des Berliner Filmmagazins durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS): „Kanibalenfilme, z. B. (...) werden in Wort und Bild ausführlich dargestellt. Menschen werden von Kanibalen gejagt, gehetzt, eingesperrt, aufgespießt und aufgegessen“, heißt es in der Begründung (den Antrag auf Indizierung hatte übrigens die Stadt Krefeld gestellt). Daß die Jugendschützer „Kanibalenfilm“ mit nur einem „n“ schreiben, macht sie nicht gerade zu Vorbildern derjenigen Jugendlichen, die zu schützen ihre angebliche Motivation ist. Den Schreibern wird ferner unterstellt, sie hätten keine kritische Distanz zu den besprochenenen Filmen. Aus diesem Grund betreibe 'Splatting Image‘ Nr. 8 verbotenerweise Werbung für indizierte Filme. Wodurch natürlich wieder festgeschrieben wird, was eine kritische Distanz sei und in welcher Form man diese gefälligst zu formulieren hat.

Fazit: die Andreas Kilbs und Claudius Seidels dieser Welt dürfen weiterhin ihre groschenromanhaften Nacherzählungen als „Kritik“ verkaufen.

Wer jedoch ausnahmsweise auf intelligente Art den Sprachduktus mit dem Sujet rückkoppelt, kommt bei den Zensoren unters Messer. Manfred Riepe