: „Tore schießen kann dort keiner“
In Italien interessiert sich niemand für das eigentliche Geschehen bei dieser Europameisterschaft ■ Aus Rom Werner Raith
Für Italiens Staatsrundfunk RAI war von vornherein klar: Die Fußball-EM steht diesmal unter einem besonders ungünstigen Stern. Es fehlen die wichtigsten Mannschaften. Vor allem eine natürlich, und die heißt Italien.
Zumal deren Fehlen, nach einhelliger Meinung aller Kickerexperten, nur „unter sehr ungünstigen Umständen passiert ist“. Die unglücklichen Umstände waren dabei natürlich nicht die verlorenen oder verschusselten Partien der Qualifikationsrunden, sondern völlig unverständliche Entscheidungen am grünen Tisch. So forderten die Italiener nach dem Auseinanderbrechen einiger Ostblockstaaten allen Ernstes eine Wiederholung der Qualifikationsrunde.
Doch die bösen Verantwortlichen der EM waren nicht dieser Meinung, und so begann die Endrunde ohne die „Azzurri“, begleitet von einer Crew sauertöpfischer Berichterstatter, denen nichts, aber auch gar nichts gefallen konnte, was da im Norden passierte. „Seht nur“, entsetzte sich einer, „die haben ein Stadion, das überhaupt nicht überdacht ist — eine regelrechte Gemeinheit, wo Italien doch vor der WM 1990 gezwungen worden war, die glühendheiße Sommersonne durch Schutzdächer abzumildern.“ Und: „Tore schießen kann dort offenbar keiner“, murrte die RAI zunächst, und die 'Gazetta dello sport‘ sah sich bestätigt: „Das kommt eben dabei heraus, wenn das Mittelmaß regiert.“ Ein schönes Wort, zumal in Italien die letzten Meisterschaftssaisons von torlosen Unentschieden geradezu wimmelten und manche Spieltage nicht einmal ein Dutzend Treffer auswiesen.
Dann gingen am Donnerstag gleich beide Schlußspiele der Vorrunde mit drei Siegestoren aus — und nun fragten sich die Süd-Kommentatoren denn doch, ob „etwa die Abwehrreihen bei dieser EM schon ermüdet sind?“ In jedem Fall eine Schweinerei ersten Ranges, daß die Deutschen ins Halbfinale kommen, wo sie 1:3 unterlagen — nie wird man den Schotten ihr 3:0 gegen die GUS verzeihen, das den Einzug der Deutschen in die Semifinals ermöglichte.
Bei alledem haben die Berichterstatter ein sehr genaues Auge auf alles, was außerhalb der Stadien passiert. „Freu mich schon auf die Partie heute abend“, feixte der Direktor des 'Banco di Santo spirito‘ zum taz- Korrespondenten, „aber nicht auf den Fußball, sondern auf die Partie der holländischen Hooligans gegen die deutschen Skinheads.“ Die Skinheads — die in Italiens Medien alle „Naziskins“ heißen — kommen in den meisten Berichten denn auch viel häufiger vor als die deutschen Kicker.
Einen großen Bogen machen die Sportspezialisten derzeit allerdings immer um einen Mann: Arrigo Sacchi, den Nationaltrainer der „Azzurri“: der hatte nach der Übernahme der Mannschaft aus den Händen des glücklosen Azeglio Vicini öffentlich erklärt, er sei froh, daß er nicht zur EM müsse — „da könnte ich mich allenfalls blamieren“. Wie recht er damit hatte, zeigte der Ausflug der Italiener nach Amerika vor zwei Wochen, wo sie durchweg eine mittelmäßige, in einigen Partien gar eine miserable Figur abgaben.
Mittlerweile fällt allerdings auch dem unbedarftesten Reporter auf, daß ausschließliches Kritteln den Verdacht „Die Trauben sind mir zu sauer“ nähren könnten. Und so suchten die Journalisten denn auch nach einem Aspekt, den sie als positiven Kontrapunkt setzen konnten, ohne darum jemanden loben zu müssen. Sie fanden ihn: „Diese EM“, brachte Radio Uno Mitte der Woche endlich die befreiende Nachricht herüber, „spricht sowieso nur eine Sprache.“ Und die ist, natürlich, Italienisch. Zum Beweis strahlen die Medien tagtäglich in Italienisch geführte Interviews mit den nach Süden verpflichteten Wanderarbeitern der niederländischen und deutschen Mannschaft aus.
Wobei dann, wie bei der RAI geschehen, auch schon mal ein verstaubter Südveteran wie Rummenigge zum derzeitigen Kapitän der Mannschaft ernannt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen