Alltagsdroge

Attwenger und die subversive Seele der Volksmusik  ■ Von Christoph Wagner

Ihre Auftritte gleichen Teufelsaustreibungen. Das Objekt der Beschwörung ist die Volksmusik. Sie soll von bösen Geistern befreit werden — von Kunst, Kitsch und Kommerz. Zauberformeln werden geraunt. Trancehafte Gesänge werden angestimmt. Wie Besessene schlagen die beiden Zeremoniemeister auf die alten Tanzrhythmen ein und quetschen mit der Ziehharmonika so lange die traditionellen Landlermelodien, bis ihre wahre Natur zum Vorschein kommt. Attwenger wollen der Volksmusik ihre Seele zurückgeben. Markus Binder (Schlagzeug) und Hans-Peter Falkner (Knopfakkordeon) bilden diese österreichische Postcore-Formation, die derzeit mit ihrer „verstärkten Volksmusik“ Furore macht. Die Kritiker haben Klassifizierungsversuche unternommen. „Alpenpunk“ lautete das tauglichste Etikett. Zwei Platten hat die Band mittlerweile schon auf dem Markt, getourt wird laufend — kreuz und quer durch Österreich, Deutschland und die Schweiz. Auch von den Britischen Inseln kommen hoffnungsvolle Signale. „A great deal — that's Attwenger!“ schwärmte John Peel, der König aller Underground-Discjockeys, in seiner Radioshow.

Attwenger kommt aus der Gegend um Linz an der Donau, einem Landstrich, dem das bevorzugte Halluzinogen der Vorindustrielle seinen Namen gegeben hat. Im Mostviertel hängen die Bäume voller Drogen und jeder hat sein „Faßl“ im Keller. Mit dem Vergärten vernebelt man sich am Feierabend den Kopf. Mostschädel werden sie deshalb genannt — die Ureinwohner des oberösterreichischen Hügellands, dessen hervorstechendstes Merkmal die unzähligen Apfelbäume sind. Mit Musik läßt sich die sinnsteigernde Wirkung der Alltagsdroge noch erhöhen. Dazu waren früher die Zwiefachen, die Schleiniger, die Landler und die Polkas da, die auf dem örtlichen Tanzboden von Ziehharmonika, Klarinette, Geige und Tuba gespielt wurden. „Mit dem Most ist es wie mit unserer Musik“, sagen die Attwenger, „das Material, die Äpfel, sind so sauer, die kannst du gar nicht essen, die spuckst du gleich wieder aus. Deshalb sucht man sich sein Material, läßt es gären — dann kommt etwas Gescheites heraus.“

Es klingt hart und verwegen, wie Markus Binder sein Schrottschlagzeug traktiert. Blech scheppert. Metall klirrt. Dumpf dröhnen die Felle. Mit der Schnarrtrommel wird der Takt vorangepeitscht. Das Tempo rast und läßt keine Zeit zum Luftholen. Das Akkordeon kommt kaum hinterher. Es schnauft und japst. Die Finger huschen über die Knöpfe und pressen Melodien hervor, die gleichzeitig schrill und vertraut klingen: Polka-Drive! Landler-Speed! Die Volksmusik dreht durch und tanzt Pogo. Wenn Hans-Peter Falkner auf den Knopf seines Verzerrers oder in sein Wah-wah-Pedal tritt, ist von seiner Ziehorgel nur noch ein Klirren und Krachen zu hören, als ob der Musikantenstadl einstürzen würde. Gesungen wird „beiderseitig“ — in oberösterreichisch, einem beinharten Dialekt, der Norddeutschen wenig Freude bereiten dürfte. Die Texte sind witzig und gewitzt, in der Ausdrucksweise drastisch und direkt, und folgen einer Dialektik, die wenig Einwände zuläßt. „Wer kane Biacha hod, der kans ned lesn / des wos kumma wiad, is nu ned gwesn / wer ka Tuba hod, der kan ned blosn / wer auf da Erd liegn duad, foid ned auf d'Nosn“, wird in stakkatohafter Sprechgesangsmanier skandiert. Der Rap läßt grüßen. „Die Sprache, das Klima, die Landschaft — alles das macht unsere Musik so, wie sie ist“, erklärt Binder und ergänzt: „jede Volksmusik ist eigenwillig. Volksmusik ist immer anders — von Person zu Person, von Ort zu Ort.“

Wer das für eine sympathische, aber letztlich antiquierte hinterwäldlerische Schrulle hält, den lehren die beiden Aborigines aus dem Mostviertel Mores: „Wir machen keine provinzielle Musik. Provinziell ist eher der Irrglaube, daß es eine globale Kultur gibt.“ Gegen die Vision einer Weltmusik als Einheitsbrei erhebt die Musik von Attwenger Einwände. Man pocht auf die Unterschiede („Mia san ned vo do, mia san vo dahoam“) und ist sich sicher, daß am Ende die letzten Hinterwäldler die ersten sein werden. „Es ist gut, wenn eine globale Kultur aus Dialekten besteht und nicht aus einer Sprache.“ Das gilt auch für den musikalischen Bereich. Diese Sichtweise bewirkt — bei aller Respektlosigkeit — einen sorgsamen Umgang mit der Tradition und eine große Achtung vor den Originalen, sei es die Innviertler Trachtenkapelle oder die Ansänger aus Atzing. „Attwenger hat kein Vorbild, aber eine Tradition“, gibt man zu Protokoll. „Wenn man mit Volksmusik arbeitet, muß man die Sache ernsthaft machen. Man muß sich darauf einlassen.“

Mit ihrem brachialen Alpenpunk knüpfen Attwenger an die vergessene anarchische Tradition der Volksmusik an, die im vorigen Jahrhundert ein kulturelles Widerstandspotential im Alltag bildete. Fest, Wirtshaus, Rausch und Geselligkeit sperrten sich gegen die Erfordernisse der aufkommenden Maschinenkultur. In Tanz und Musik artikulierte sich ein Selbstbestimmungsrecht der unteren Klassen, ein Autonomieanspruch der „kleinen Leute“, der sich an den eigenen Bedürfnissen orientierte und damit querstand zu den Imperativen des Obrigkeitsstaates auf dem Weg in die industrielle Moderne. Die plebejische Musik wirkte als Stimulator für Aufsässigkeit und Widerborstigkeit. „Volksmusik ist eine subversive Angelegenheit, die mit Kommerzialität vom Anliegen her nichts zu tun hat“, wissen die beiden aus dem Mostviertel. „Volksmusik kann nicht kommerziell sein, sonst ist sie volkstümlich.“

Das Verdienst von Attwenger liegt darin, mit ihrer Musik auf diesen kleinen, aber bedeutsamen Unterschied aufmerksam gemacht zu haben: Volksmusik ist nicht gleich Volksmusik — ganz im Gegenteil. Für Attwenger geht es nicht darum, idyllische Luftschlösser mit Hilfe von Tönen und Klängen in den Himmel zu malen, sondern schlicht und einfach, „so zu tun, wie es ist!“ Das schließt mit ein, auch einmal „den Mostschädeln den Schädel in den Most zu tunken“.

Attwenger: Pflug . Trikont-Efa US-0185