Konservative wollen Jelzin stürzen

Jelzin versucht, einen Schulterschluß mit dem militärisch-industriellen Komplex zustande zu bringen/ Südossietien-Konflikt weist auf Strategie der Anhänger des Imperiums, nationalistisch motivierte Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die konservativ-nationalistische Opposition in Rußland beginnt sich zu regen. Sie will das Ende von Jelzins Herrschaft herbeiführen. Falls dies nicht mit dem demokratischen Mittel eines Referendums möglich sein sollte, dann mit der „Faust“. So jedenfalls äußerten sich die Vertreter der rechten Deputiertengruppe „Jedinstvo“ („Einheit“) in der letzten Woche, als Jelzin zu einem Besuch in den USA weilte.

Der Tenor: Jelzins Washingtoner Verhandlungsresultate zielten auf den Niedergang der nationalen Wehrkraft. Ähnliche Worte waren schon am vorletzten Wochenende auf der Gründungsversammlung des „Russischen National-Konzils“ („Russkij Nationalnyj Sobor“) gefallen. Der Auftritt des Ex-KGB-Generals Sterlingow, dem obiges Zitat mit der „Faust“ zuzuschreiben ist, wird in der 'Komsomolskaja Prawda‘ wie folgt beschrieben: „Er trat gleichsam mit der heißersehnten Meldung über das hinterlistige Trachten der Yankees an. Wirtschaftlicher Niedergang, der Griff des Volkes zum Bettelstab, der Zerfall des Staates, die Vernichtung der Nation — dies alles kennzeichnet die Herrschaftsperiode der Helfershelfer der häßlichen Amerikaner: Jelzin und Kabinettschef Gajdar.“ Das außenpolitische Programm des „Russischen National-Konzils“ enthält unter anderem auch eine Aktionseinheit mit dem von ganz Westeuropa gedemütigten Serbien. Innenpolitisch wird die „Nationale Staatlichkeit“ angestrebt, die Sterlingow als „Triumph des Patriotismus“ definierte. Bei diesem ersten Treffen waren 1.100 Delegierte aus 117 verschiedenen Städten zusammen, die gut vier Dutzend verschiedene Organisationen vertraten. Die Schriftsteller Valentin Rasputin und Wassili Below, der Mathematiker Igor Schafarewitsch, der Filmregisseur Stanislaw Goworuchin zierten den Saal ebenso wie General Makaschow (kandidierte schon bei den letzten Wahlen als Patriot gegen Jelzin) und der russische Le Pen, Wladimir Schirinowski. Bewacht wurden sie von der gleichen Sorte schwarzbebluster Jünglinge mit blätterig gefiederten Hakenkreuzen auf den Ärmeln wie ihre Anhänger, die draußen auf der Wiese vor dem Fernsehzentrum Ostankino eine eigene Extrawurst im föderationsweiten Teleprogramm einklagten.

Sergej Schachrai, Mitglied der Komission des russischen Obersten Sowjet für Fragen der Rechtsstaatlichkeit, warnte am Freitag und Donnerstag in Interviews der 'Komsomolskaja Prawda‘ und 'Iswestija‘ vor einem Putschversuch gegen Jelzin im Herbst oder Winter dieses Jahres. Die gegenwärtigen rechten Aktivitäten, so meinte er, seien vergleichsweise „erste Schwalben“. Als mögliches Instrument des Umsturzes nannte er den in seiner Mehrheit reformfeindlich orientierten Obersten Sowjet Rußlands, auch Vizepräsident Rutskoi werde man wieder in diese Aktion hineinzuziehen versuchen. „Unser nationales Selbstbewußtsein findet in den Grenzen Rußlands noch ganz und gar nicht seinen Platz, wir sind gewöhnt, in den Grenzen der Sowjetunion zu denken. Und mit ihrem Zerfall findet sich die große Nation ins Elend gestürzt.“

Jelzins Schulterschluß

Präsident Jelzin entschloß sich demgegenüber, durch den Schulterschluß mit den Vertretern der großen Energiekonzerne und des militärisch-industriellen Komplexes abzusichern. Dazu gehören der neu ernannte Vizepremier Georgi Chischa und der Chef des Monopolkonzerns „Gasprom“, Viktor Tschernomyrdin. Ebenso der St. Petersburger Rüstungszar Chischa, der sich aktiv für Privatisierung und Konversion stark gemacht hat und die von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten seiner Mammutbetriebe in Schach hält. Tschernomyrdin sichert bisher noch die Gasversorgung Rußlands und gilt im internationalen Maßstab als einer der erfolgreichsten Manager. Daß er nebenbei als ZK-Mitglied auch in die Putschvorbereitungen verwickelt war, scheint den Präsidenten kaum mehr zu stören.

Ob Jelzin, wie bisher, einen Kompromiß geschlossen hat, um bestimmte Ziele zu verfolgen oder nur noch, um sich die Macht zu erhalten, steht im Raum. Daß Chischa und Tschernomyrdin als erste Amtshandlung jeweils Sonder-Ukasse zur Begünstigung ihrer eigenen Konzerne erließen, ist nicht ermutigend. Und für den Ex-Pressesprecher des Präsidenten, Pawel Woschtschanow, der es jetzt wieder vorzieht, als freier Journalist in der 'Komsomolskaja Prawda‘ seine Feder zu spitzen, steht das Fazit schon fest: „Unser Bemühen, uns den vergangenen August als einen Triumph der Demokratie auszumalen, ist leider nicht viel mehr als Selbstbetrug. Unter dem Strich haben die Kommunisten gesiegt, nur daß sie sich von den Parteiattributen freigemacht haben. Und deshalb ist auch die Suche nach ehemaligen Parteibürokraten, die sich in die Umgebung des Präsidenten eingeschlichen haben, müßig. Sie sind nirgendwohin geschlichen und auch nicht gerannt oder gegangen. Sie sind ganz einfach auf ihren Plätzen sitzengeblieben und haben bereitwillig dem neuen Hausherren des Kreml den Eid geschworen.“

Wie eine Parodie auf die politischen Koalitionen Jelzins wirken die Manöver an der Flanke, mit denen Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow und Vizepräsident Alexander Rutskoi die von den Putscherrungenschaften enttäuschten und in ihrer Großmacht-Selbstherrlichkeit bedrohten russischen Spießbürger zu gewinnen suchen. Sie drohen mit militärischen Aktionen zum Schutz des von georgischen Freischärlern in seiner Existenz bedrohten kleinen südossetischen Volkes beziehungsweise die Prüfung der offiziellen südossetischen Bitte um Aufnahme in die Russische Föderation. Die Schutzwürdigkeit einer vom Genozid bedrohten Minderheit ist eine Sache. Doch ist diesem Wortgeklingel keineswegs die Bemühung zu entnehmen, zur Beruhigung der Situation im Kaukasus beizutragen. Als „auf bestimmte Kreise gemünzt, die jetzt so merklich ihr Haupt erheben“, bezeichnete denn auch Eduard Schewardnadse die Chasbulatow-Erklärung, die er als Vorsitzender des georgischen Staatsrates energisch zurückwies. „Die Erklärung Chasbulatows... Gleicht einem weiteren Funken, der in das Pulverfaß geschleudert wird. Der Autor kann nicht in Unkenntnis darüber sein, daß das, was heute in Georgien vor sich geht, ein Erbe der Vergangenheit ist.“ Schewardnadse wirft Chasbulatow damit indirekt vor, die unheilstiftende Taktik des alten Moskauer Zentrums wieder aufzunehmen, das die UdSSR-Völker durch das Schüren von Konflikten zu beherrschen suchte. Nur wenige wissen mehr darüber als der Ex-UdSSR- Außenminister.