Erstarrte Verwandlungen

■ Kafkas »Verwandlung«: Eine szenische Rezitation von Peter Schröder im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung in der Parochialkirche

Das Publikum sitzt brav im Altarraum der Parochialkirche vor einem beleuchteten leeren Podest, der als improvisierte Bühne für die Rezitation von Kafkas Verwandlung dienen soll. Nur das laute Lachen einer bierseligen Gruppe bricht die beklemmende Stille der kirchlichen Atmosphäre. Der Schauspieler schließt die schwere Tür, und in wenigen Minuten fängt das Ritual an: die ersten Worte dieser Erzählung haben sich inzwischen fester in unser Gedächtnis geprägt als die längst vergessenen Gebete. Peter Schröder rezitiert den Anfang überzeugend, mit zurückgenommener Gestik, aber als er sich in käferartiger Haltung auf den Rücken legt und versucht, mit der Stimme den Erzähler und mit dem Körper das Ungeziefer darzustellen, ahnen wir schon, daß er diese Anstrengung nicht über zwei Stunden durchhalten wird, ohne die verschiedenen Erzählebenen zu verwischen.

Kafkas Geschichten beinhalten einen gestischen Kodex, aus dem sich genaue Anweisungen für ihre Inszenierung herausfinden lassen. Peter Schröder verfolgt die Bewegungen des zum Käfer gewordenen Gregor, aber sein Körper beschränkt sich auf die Wiederholung der gestischen Information, die der rezitierte Text gleichzeitig vermittelt. Das Verhältnis zwischen Gestik und Stimme verliert dabei an Spannung. Der Schauspieler schwitzt in seinen Verwandlungen, bemüht sich fast sportlich, alle Stimmen und Gebärden darzustellen, schnelle Worttiraden mit dem langsameren Rhythmus des Erzählers zu kontrastieren, aber seine Kräfte lassen nach, und wenn Gregor Samsa beginnt, gekünstelt und pathetisch zu wirken, wenn Kafkas Sprache ihre nüchterne Stellung zwischen Hoffnung und Verzweiflung verliert, kann der beunruhigte Zuschauer nur hoffen, daß diese angestrengte Rezitation so schnell wie möglich zu Ende geht. Die Schlußwörter bringen die Befreiung. Das Publikum applaudiert, die bierselige Gruppe ruft Bravo, bevor sie sich in die nächste Kneipe begibt, um sich von der Veranstaltung zu erholen.

Peter Schröder wurde 1958 in Berlin geboren, studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und hat auch Abschied von den Eltern von Peter Weiss und Lenz von Georg Büchner als Soloarbeiten inszeniert.

Achtzig Jahre nach der Entstehung von Kafkas Verwandlung hat eine Berliner Künstlergruppe den Text als Anlaß für ein Ausstellungsprojekt genommen, das Wort, Bild und Ton in wechselseitige Beziehung setzen soll. Peter Schröders szenische Rezitation fand im Rahmen dieser Ausstellung statt, so wie die Uraufführung der Komposition Verwandlung für Cello und Klavier von Karsten Dehning. Bilder von Prof. Wolfgang Ludwig, seinen ehemaligen Schülern A. Knäbel, M. Müller und von anderen jungen Berliner MalerInnen zeigen die unterschiedlichen Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit Kafkas Motiven.

Die Verwandlung hat nichts an Aktualität verloren; darüber sind wir uns mit dieser Gruppe einig. Für solche Projekte lassen sich meistens Veranstaltungsorte finden, finanzielle Unterstützung und Zuschauer.

Leider bleiben die szenische Bearbeitung und noch mehr die ausgestellten Bilder weit hinter Kafkas künstlerischer Spannkraft zurück. Die Spuren der Kunstakademien sind bei diesen neu entstandenen Verwandlungen erkennbar. Es ist, als ob der Affe vom Bericht für eine Akademie vor diesen Werken wiederholen würde: »Ich ahmte nach, weil ich keinen anderen Ausweg fand.« Teresa Delgado

Ausstellung bis zum 26. Juni täglich von 11 bis 19 Uhr in der Parochialkirche, Klosterstraße 67.