Schere am Segel

■ Das Landesarchiv Berlin zeigt noch bis August eine Ausstellung zum Thema »Politische Karikaturen der Bismarck-Zeit«

Dreimal ist auf dem Holzschnitt derselbe Mann zu sehen: als Vollbartträger, der unter seinem Hut wild die Augen rollt, als selbstbewußter Bürger mit gestutztem Schnäuzer und schließlich als glattrasierter Philister, der seine feisten Backen vor Wut bläht »gegen die verdammten losen Juden, Polen und Franzosen«, wie der Vers darunter Auskunft gibt. Michels Hut-und- Bart-Politik heißt die Karikatur. Sie wurde 1850 in der 'Buddelmeyer Zeitung‘ veröffentlicht, einem Berliner Organ »zur Belehrung und Erheiterung für Stadt und Land«. Mit den drei »Michels« mokierte sich das Blatt über den Gesinnungswandel der Deutschen vor und nach der gescheiterten Revolution.

Wiederabgedruckt wurde das Spottbild jetzt in dem knapp 900 Seiten starken Buch von Ursula E. Koch, das nach den frühen »zwanglosen Heften« des Schriftstellers Ferdinand von Biedenfeld benannt wurde. Der Teufel in Berlin dokumentiert die Geschichte der Berliner »illustrierten politischen Witzblätter« von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Die Münchner Professorin für Kommunikationswissenschaft hat jedoch mit dem Material aus dem Berliner Landesarchiv und dem Dortmunder Institut für Zeitungsforschung nicht nur eine Chronik geschrieben, sondern in einem zweiten Teil auch versucht, die Darstellung europäischer Geschichte in den Satireblättern systematisch darzustellen. — Von dieser umfassenden Arbeit ist in der Ausstellung Karikaturen der Bismarck- Zeit, mit der das Landesarchiv jetzt den reich bebilderten Band auszugsweise vorstellt, nur wenig übriggeblieben. Die Illustrationen, die im Foyer des Schöneberger Gebäudes zu sehen sind, zeigen neben vielen Debatten um den Revolutionsverlauf vor allem die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich, die Kriege Napoleons III., den preußischen Sieg über Österreich und manche Auswirkungen von Bismarcks Innenpolitik. Dessen Glatze wurde in den Zeitungen bald nur noch mit drei stilisierten Haaren wiedergegeben. Im 'Kladderadatsch‘ erschien die Kopfpracht des Ministerpräsidenten gar als Halbmond über wilder See, auf der die Redaktion in einem kleinen Boot manövriert. Am Segel hängt eine Schere — Prozesse und Maßregelungen waren für die liberale Presse nach Bismarcks Amtsantritt an der Tagesordnung. Nicht zuletzt darum war der »bestgehaßte Staatsmann« häufiges Ziel der zeichnerischen Angriffe. Mit seinem Abgang 1890 wandelten sich die Illustrationen von der politischen Karikatur zum klatschnahen Lieutnants- Witz.

Blätter, die die Zensur überlebten, scheiterten oft, trotz prominenter Besetzung, schlicht am Desinteresse des Publikums. Das Landesarchiv stellt sie mit ihren Titelseiten und Herausgebern vor. Auch eine Frau wird erwähnt, Louise Aston, die 1848 den 'Freischärler‘ veröffentlichte und »Zigarren rauche, einen Clubb emancipierter Frauen gestiftet habe und nicht an Gott glaube«. In den Karikaturen selbst erscheint die »emancipierte Frau« als hinterhältiges Weibsstück, das seinen Ehemann hörnt: Während es vorgibt, zur Sitzung des Frauenvereins aufzubrechen, wartet hinter der Tür schon der Liebhaber. Neben diesem Themen- Repertoire zeigt das Landesarchiv auch stilistische Standards. Der Eckensteher Nante gab regelmäßig mit Volkes Stimme seine Kommentare zum Tagesgeschehen ab. Die antisemitischen Zeichnungen des kleinen Reaktionärs dagegen weisen schon die Merkmale der Karikaturen im nationalsozialistischen 'Stürmer‘ auf.

Obwohl die Ausstellung nur einen Extrakt des Buches zeigt, vermag sie die Fülle des Materials kaum zu beherrschen. Bei dem Versuch, die Zeichnungen historisch einzuordnen, wurden Prozesse und Ereignisse in handliche Abschnitte wie Vormärz, Revolution, Konterrevolution und in die Zeit »von der siegreichen Reaktion zu den ‘Einigungskriegen‚« zerlegt, die Illustrationen in den entsprechenden Abteilen chronologisch aneinandergereiht. Die Erläuterungen zu den jeweiligen Zeichnungen, die dann die politischen Zusammenhänge wiederherstellen sollen, deuten die Exponate, die einst meist von Bürgern für Bürger geschaffen wurden, dann als repräsentative Interpretation der Zeit. Schlimmer: Die Verfasser der Schildchen mit dem pädagogischen Unterton meinten gar, auf »zündenden Witz und gesunden Menschenverstand« einzelner Karikaturen hinweisen zu müssen. Damit ist der Ausstellung der hundertjährige, schwer verständliche Humor ganz abhanden gekommen. Claudia Wahjudi

Bis 19.8., Kalckreuthstraße 1-2, Mo-Mi 8.30-15.30, Do bis 18.30, Fr 15 Uhr