"Verantwortung", für viele ein Fremdwort Betr.: "–Eingriff in die Lehre'(Konzil der TU forderte die Rückkehr des abgeschobenen kolumbianischen Dozenten Milton Amador), taz vom 22.5.92

Betr.: »,Eingriff in die Lehre‘ verurteilt«

(Konzil der TU forderte die Rückkehr des abgeschobenen kolumbianischen Dozenten Milton Amador), taz vom 22.5.92

[...] Milton Amador, ein Familienvater, der hier beruflich hochgeschätzt und bei allen beliebt ist, der keine kriminellen oder rechtswidrigen Handlungen begangen hat, kann man nur vorwerfen, auf die Welt gekommen zu sein und die Unverschämtheit zu haben, einfach leben zu wollen. Damit meine ich nicht, daß Gesetze zur Regelung der Aufenthaltserlaubnis von Ausländern abgeschafft werden sollten, sondern will darauf hinweisen, daß diese Gesetze im gesamten Kontext der Verfassung und auf ihrer entsprechenden Grundlage formuliert werden sollten. Wenn sie die realistischen Menschenrechte nicht schützen, stehen solche Gesetze im Widerspruch zur Verfassung und verlieren ihre Gültigkeit. Bei der Entscheidung über das Schicksal von Milton Amador sieht man wieder einmal, daß der Begriff »Verantwortung« für viele ein Fremdwort ist. [...]

Wohlwissend, daß die Anspielung an deutsche Vergangenheit schmerzlich ist, scheint mir in diesem Fall notwendig, es zu tun. Ich möchte, wie viele andere auch, hier in Frieden leben, ohne die Angst, eines Tages flüchten zu müssen, um dann an die Tür derer zu klopfen, die man selber jetzt auf würdelose Art und Weise aus Deutschland verjagt hat! Solange wir hier die Chance haben, in dem Genuß einer demokratischen Verfassung zu leben, die von der »Unantastbarkeit der Würde des Menschen« ausgeht, sollten wir dafür sorgen, daß es so bleibt.

Im oben genannten Leitsatz der Verfassung steht der Begriff »Mensch« ohne jegliche Einschränkungen oder Differenzierungen und ist auf alle Menschen ausgedehnt zu verstehen. Was hier dennoch in der Realität geschieht, gibt Anlaß zu denken, daß die Hüter des Gesetzes und ihre Partner zu denjenigen gehören, die nicht wissen, was sie tun. Sie scheinen nicht zu wissen, worin die Überlegenheit des Menschen in der Schöpfung besteht, worauf sie begründet und legitimiert ist und überhaupt, woraus das Wesen des Menschen besteht.

Der persönliche Bewußtseinsgrad der Lebensgesetze spiegelt sich wieder in der entsprechenden Fähigkeit, einen gesunden und verantwortlichen Umgang mit anderen Menschen an den Tag zu legen. Vorgehensweisen wie bei der Verhaftung und Abschiebung (ohne Richter!) von Milton Amador, lassen mit Bedauern darauf schließen, daß die geistige Umnachtung unserer Gesetzesvertreter schon ein erschreckendes Ausmaß erreicht hat. Es macht mir Angst, im wirklichen Leben mit Geschichten konfrontiert zu werden, die bestenfalls in erfundenen, gruseligen Horrorfilmen ihren Platz haben sollten. C.A.Schneider, TU-Studentin