QUERSPALTE
: Erinnerung ans Paradies

■ Früher, sagen Fußballveteranen, war alles besser — und meinen sich selbst

Keine Typen mehr da, nirgendwo. So Kerle mit Ecken und Kanten und tiefen Furchen im Gesicht, gezeichnet vom Leben — und vor allem den Nächten. Der politischen Klasse (ja, so heißt das heute) fehlt's auch mächtig. Früher, sapperment, beim Strauß und Wehner und Erhard, da schäumte der Maßkrug, da flogen die Fetzen, da qualmte die Zigarre. Und heute? Nur noch verschwiemelte Teiggesichter in Bonn, mausgrau und gar selten blau.

Und die Kunst auch, ach. Vegetarische Rocksänger in den Charts ganz vorn, Jogger und Asketen. Oh Westernhagen. Früh ins Bett und morgens zuerst die Aktienkurse lesen. Oder gleich vollsynthetisch an die Spitze stürmen wie Milli Vanilli und New Kids on the Block. Kein Keith Richards mehr im Nachwuchs, kein sex & drugs & rock 'n' roll.

Jetzt auch noch das: der Fußball. Vom fernen Schweden jammert's her, wir haben keine Persönlichkeiten mehr! Lauter spätpubertäre Millionäre. Lauter DFB-Angestellte im Ausgeh-Blazer. Lauter jasagende Bubis, igitt. Früher, ja früher, da ging's rund ums runde Leder. Eine einzige Riesengaudi war's, immer feste druff, die Pauke dröhnt und hoch die Tassen. Wißt ihr noch, damals...?

Ja, wenn die Veteranen erzähl'n. „Ich hätte gar nicht erst großartig gefragt“, haut sich Harald („Toni“) Schumacher im neuen 'Spiegel‘ krachend selber auf die Schulter, „sondern einfach gemacht.“ Potzblitz. Und der Paul („Paule“) Breitner wird in dito Interview ganz schön poltrig beim Thema Zaun ums Hotel wie jetzt in Schweden: „Seid's ihr deppert“, hätt' er den DFB-Oberen den Marsch geblasen, damals... Ja auch dem Hans-Peter („Walz“) Briegel fehlen die wortgewaltigen Charaktere im Vogtsschen Team: „Heute hat jeder zuviel Angst, daß er rausfliegt, wenn er zu viel sagt.“

Nur noch Verbalsofties im schwarzrotgüldnen Dress. „Diese Mannschaft hat einfach keine Typen“ (Toni), „ich sehe keinen, der das symbolisiert, was wir unter Spielerpersönlichkeiten verstehen“ (Paule). Ja, als unsere drei Veteranen noch lautstark vor den Ball traten... Bei der Weltmeisterschaft 1982 etwa in Gijon, da haben sich der Toni und der Paule und die Walz den Ball so lange zugeschoben, daß der TV-Reporter Stanjek seinen Beruf aufgeben wollte hernach vor lauter Pein: Nie mehr wollte er so was zugemutet kriegen. Und 1984 bei der EM haben sich unsere Haudegen von heute gleich vorzeitig aus dem Turnier verabschiedet, gell. Und war da '86 in Mexiko nicht die Rede vom Maurerfußball und den sechs Vorstoppern und überhaupt unansehnlichem Gewürge, Toni und Walz?

Nee? Habt ihr gerade nicht mehr so parat? Auch nicht eure unglaublich kantig-charaktervollen Mitstreiter seinerzeit, den Berthold, den Magath, den Bommer und die anderen glatten Blaßgesichter? Nee, dämmert immer noch nix? Ach so, ihr haltet's mit Jean Paul: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“

Na dann: weiterträumen!! Herr Thömmes