Achteinhalb Jahre für RAF-Aussteiger

Die RAF-Aussteiger Friedrich und Sternebeck wurden in Stuttgart zu achteinhalb und sechseinhalb Jahren Haft verurteilt/ In der Beweisaufnahme hatten sich die Zeugen teilweise widersprochen  ■ Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) — Zu Freiheitsstrafen von achteinhalb und sechseinhalb Jahren hat das Oberlandesgericht Stuttgart gestern die ehemaligen RAF-Mitglieder Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich verurteilt. Der 5. Strafsenat blieb unter den Anträgen der Bundesanwaltschaft, die neuneinhalb Jahre für Sternebeck und acht Jahre für Friedrich gefordert hatte. Das Gericht sah als erwiesen an, daß beide als Mittäter im Juni 1979 das gescheiterte Sprengstoffattentat auf den Nato-Oberkommandierenden Alexander Haig vorbereitet haben. Sternebeck habe zudem im Herbst 1977 im weiteren Umfeld Beihilfe zur Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer geleistet. Die beiden Angeklagten, seit März 1991 verheiratet, waren 1980 in der DDR untergetaucht. Sie wurden dort im Sommer 1990 festgenommen.

Sieben Monate hat das Verfahren gegen Ralf Baptist Friedrich und seine Ehefrau Sigrid geborene Sternebeck gedauert. Monate, in denen beide, wie kaum jemand vor ihnen, ihre Geschichte als Mitglieder der Terrorgruppe ausgebreitet hatten. Präzise war ihre Erinnerung auch da, wo kein Bonus für gefällige Aussagen im Sinne der Kronzeugenregelung zu erwarten war.

Vor zwei Wochen hatte Ralf Baptist Friedrich dann aber doch Mühe, seine Beherrschung zu wahren. Susanne Albrecht, Aussteigerin wie er, und vom selben Gericht vor einem Jahr wegen ihrer Beteiligung an den RAF-Anschlägen auf den Bankier Jürgen Ponto und den früheren Nato- Oberbefehlshaber Alexander Haig zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, hatte als Zeugin zum wiederholten Male darauf bestanden, zusammen mit dem Angeklagten „im Frühsommer 1979“ den Sprengstoff für den Haig-Anschlag beschafft zu haben. Eine Falschaussage, so Friedrich, die ihn, wie es jetzt geschehen ist, mehrere Jahre hinter Gitter bringt. Das Gericht legte seinem Urteil die Aussage Albrechts zugrunde.

Daß er mit Frau Albrecht in Italien gewesen war, um dort von einem Mitglied der italienischen Terrorgruppe „Rote Brigaden“ zehn Kilo TNT zu übernehmen und nach Paris zu transportieren, hatte Ralf Baptist Friedrich nie bestritten. An das Datum der Aktion meint er sich aber sehr viel genauer zu erinnern als seine damalige Komplizin: „Es war der 20. Mai 1978“, also gut ein Jahr vor dem Anschlag.

Zwei weitere Zeugen, die RAF- Aussteiger Werner Lotze und Peter- Jürgen Boock, hatten Friedrichs Version mit ihren Aussagen in wesentlichen Teilen bestätigt. Außerdem, so eine Feststellung des Bundeskriminalamtes, hatte es sich bei dem Bombenanschlag, den Haig und seine Begleiter unverletzt überstanden, nicht um TNT, sondern um Plastiksprengstoff gehandelt.

Die Verärgerung Friedrichs über das schwache Erinnerungsvermögen seiner früheren RAF-Genossin war verständlich. Denn schließlich war auch die jüngste Suche nach weiteren Beweismitteln für seine Behauptung erfolglos geblieben. Einen Teil des Sprengstoffs, so Friedrich, habe er damals in einem Olivenhain bei der italienischen Stadt San Remo vergraben. Auf Anordnung des Gerichts konnte sich Friedrich zusammen mit Beamten des Bundeskriminalamtes auf die Suche machen. Den Ort hatte man gefunden, den restlichen Sprengstoff dagegen nicht.

Die Karlsruher Bundesanwälte forderten in ihrem Schlußplädoyer acht Jahre Gefängnis für die Beihilfe des Angeklagten an einem dreifachen Mordversuch im Fall Haig. Friedrichs Verteidiger plädierten dagegen auf Freispruch.

Friedrichs Ehefrau Sigrid, eine 42jährige Fotografin, warf die Bundesanwaltschaft neben der Ausspähung der Fahrtroute des Nato-Oberkommandierenden und der Anmietung konspirativer Wohnungen auch noch eine Beteiligung an der Entführung des ehemaligen deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor.

Die beiden Angeklagten, hatte zuvor der Zeuge Werner Lotze betont, seien Randfiguren der Gruppe gewesen. Randfiguren, die vielleicht schon deshalb „nur geringe Aufklärungshilfe im Sinne der Kronzeugenregelung geleistet haben“, weil ihnen die Kader der RAF eben auch nur Randinformationen zukommen ließen. Friedrich, das wurde in seinem über hundertseitigen Geständnis zu Beginn des Prozesses deutlich, war kein Pistolero, sondern ein „Diplomat“ der RAF. Er war es gewesen, der noch nach der Geiselbefreiung von Mogadishu, nach der Ermordung Schleyers und dem Stammheimer Kollektivselbstmord Kontakte zu hochgestellten französischen Politikern wie dem ehemaligen Justizminister Badinter, Außenminister Dumas und mit zahlreichen französischen Künstlern und Intellektuellen hielt. „Sie haben unsere Arbeit im deutschen Herbst bewundert“, so Friedrich, „und drängten uns zu stellvertretenden Aktionen.“