Ein langer Weg bis zur Regierung

■ Wegweiser durch das israelische Wahlrecht/ Die Kabinettsbildung kann Wochen oder Monate dauern

In Israel gilt das Verhältniswahlrecht. Die Abgeordneten werden in geheimer Abstimmung auf jeweils vier Jahre gewählt. Wie diesmal geschehen, kann jedoch die Knesset beschließen, schon vor Ablauf der Legislaturperiode Neuwahlen abzuhalten. Gegenwärtig gilt eine 1,5-Prozent-Klausel. Listen, die weniger als 1,5 Prozent der bei den Wahlen abgegebenen gültigen Stimmen erhalten, haben aber die Möglichkeit, dennoch Abgeordnete in die Knesset zu entsenden. Voraussetzung dafür ist, daß sie die fehlenden Stimmen aus Überschüssen einer anderen Kandidatenliste erhalten, mit der sie vorher ein entsprechendes Verbindungsabkommen abgeschlossen und bei der zentralen Wahlkommission angemeldet haben. Bei diesen Wahlen sind etwa 40.000 Wählerstimmen nötig, um ein Mandat zu erzielen.

Alle bisherigen Regierungen in Israel waren Koalitionsregierungen. Auch diesmal dürfte es keiner Partei gelingen, die absolute Mehrheit zu erringen. Wenn es Jizchak Rabins Arbeiterpartei gelingen sollte, ihre gegenwärtigen Mandate (38 von 120 Sitzen im Parlament) auszubauen, und gleichzeitig der linke Fraktionsblock wächst, könnte Jizchak Rabin in der Lage sein, mit mindestens 61 Knessetmitgliedern zu verhindern, daß der Likud-Rivale Schamir eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich hat. Nach einer solchen anfänglichen Blockade hätte Rabin dann die günstigeren Aussichten auf eine Koalitionsbildung. Staatspräsident Chaim Herzog müßte ihn dann mit dieser Aufgabe betrauen.

Endgültiges Resultat erst am Freitag

Im allgemeinen ist der Regierungsbildungsprozeß in Israel langwierig und nimmt oft Wochen oder Monate in Anspruch. Gelingt es dem zum Ministerpräsidenten bestimmten Kandidaten nach wiederholten Versuchen nicht, eine Koalitionsregierung zu bilden (die dann von der Knesset bestätigt werden muß), berät sich der Staatspräsident erneut mit den Vertretern aller Parteien im Parlament und betraut eventuell einen anderen Politiker mit der Aufgabe einer Koalitionsbildung. Bis zum Zeitpunkt des Vertrauensvotums der Knesset bleibt die bestehende Regierung im Amt.

Das Endresultat der gegenwärtigen Wahlen wird erst Freitag, das heißt zwei Tage nach dem Wahltag, bekanntgegeben, weil in der Zwischenzeit die Stimmen der wählenden Soldaten und sonstigen Sicherheitsleute gezählt und zu den „zivilen“ Stimmen gerechnet werden. Das nichtamtliche Wahlresultat wird jedoch bereits in den frühen Morgenstunden des Mittwoch bekannt sein.

Etwas mehr als 3,4 Millionen Israelis sind heute stimmberechtigt. Rund 4.500 Wahllokale stehen ihnen diesmal zur Verfügung. Hinzu kommen noch spezielle Wahllokale für Soldaten. Im Verhältnis zu den letzten Knessetwahlen im Jahre 1988 wurde ein Zuwachs von 17,8 Prozent wahlberechtigter Personen verzeichnet. Davon sind 302.000 Neueinwanderer und die übrigen israelische Neuwähler.

Wahlkampf perlte an den Wählern ab

Der Wahlkampf wurde hauptsächlich in den Medien ausgetragen. Das Crescendo der Werbespots im Fernsehen erregte allerdings kaum noch Aufsehen. Die meisten Wähler sind mit Wahlparolen übersättigt. Überraschungen oder sensationelle Enthüllungen gab es nicht. Die in Israel vor Wahlen sonst übliche Hochspannung blieb diesmal aus. Nur unter den Politikern in den Parteizentralen herrschte Hektik.

Die gesamte Presse für Regierungswechsel

Ein interessantes Novum ist das Engagement fast der gesamten Presse gegen die bestehende Regierung. Die Zeitung 'Haarez‘ schrieb, der Likud habe das Ende des Wegs „als regierende Partei erreicht“ und solle von einer neuen Regierung und Jizchak Rabin ersetzt werden.

In den letzten Tagen vor den Wahlen herrschte in Likud-Kreisen Niedergeschlagenheit und Pessimismus, bei der Arbeiterpartei und bei Merez hingegen freudige Siegesstimmung. Die Führung der Arbeiterpartei ist überzeugt von ihrem bevorstehenden Comeback und trifft Vorbereitungen für die Regierungsübernahme. Demoskopen halten dagegen ein erneutes „Unentschieden“ wie bei den letzten Wahlen für wahrscheinlich. Amos Wollin