Der erste Spatenstich steht in den Sternen

■ Der Moabiter Werder: Berlins größtes Wohnungsbauprojekt, über das seit zehn Jahren geredet wird, ohne daß eine Schaufel Erde bewegt wurde/ Nun stellt sich der Bund quer: Dort braucht man so schnell keine Wohnungen in Berlin

Tiergarten. Wer mit der S-Bahn die sanfte Biegung des Spreebogens zwischen dem Bahnhof Bellevue und dem Lehrter Stadtbahnhof entlangfährt, sieht zu rechter Hand ein baumbestandenes, von Gewerbebetrieben bevölkertes Spreeuferstück: den Moabiter Werder. Hier soll, nunmehr im zehnten Jahr der Planung, das derzeit größte innerstädtische Wohnungsbauprojekt entstehen: 600 Wohnungen in sechs Hochhäusern im ersten Bauabschnitt und noch einmal 600 in einer späteren Bauphase. Ende 1994 sollte alles fertig sein, Kindertagesstätte und Grundschule eingeschlossen. Doch bislang steht in den Sternen, wann der erste Spatenstich erfolgen wird.

Die Idee, auf dem Moabiter Werder Wohnungen zu bauen, ist schon seit 1982 im Gespräch, erinnert sich der jetzige Staatssekretär Wolfgang Branoner, damals Referent des Bausenators Ulrich Rastemborski. 1984 wurde das Projekt in den Flächennutzungsplan aufgenommen, 1987 ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem drei Sieger und ein umstrittenes Ergebnis ermittelt wurden. Denn die sechs Hochhäuser seien familienfeindlich, Wohnhochhäuser zudem nicht mehr zeitgemäß, sagten damals Kritiker. Außerdem sei deren Gründung im weichen Spreeufer schwierig und teuer, was sich auf die Mieten niederschlüge. Inzwischen folgten drei Realisierungswettbewerbe, wie der langjährige Projektleiter Bernd Faskel erläutert.

Gleichzeitig hat die Planung verschiedene Irrungen und Wirrungen mitgemacht: Vom aufgelockerten Wohnen im Grünen (400 Wohnungen) unter Stadtentwicklungssenator Jürgen Starnick zum Modellprojekt ökologischen Stadtumbaus (600 Wohnungen) im Rahmen der — inzwischen abgesagten — Bundesgartenschau. Unter Rot-Grün mutierte das Vorhaben zum Projekt »Wohnen im Hochhaus« und verwandelte sich nach dem Hauptstadtbeschluß im letzten Jahr zur geplanten Wohnsiedlung für Bundesbedienstete (1.200 Wohnungen).

Irrungen und Wirrungen

Doch der Bund will nicht so recht. Das Projekt komme zu früh, so der Leiter der Abteilung Wohnungsbauförderung im Bundesbauministerium, Ministerialdirigent Berkefeld. Bevor der Ausbau Berlins zur Hauptstadt und der folgende Umzug nicht abgeschlossen seien, bräuchte man die Wohnungen nicht. Und das dauert, so schätzen Experten einhellig, mindestens acht Jahre. Von vier Jahren — wie ursprünglich nach dem Hauptstadtbeschluß von vergangenem Jahr vorgesehen — wage keiner mehr zu reden, meint Berkefeld weiter. Würden die Wohnungen aber schon in vier Jahren fertig, produziere man entweder jahrelangen Leerstand, oder aber man gebe Mietern Zeitverträge, so daß diese ausziehen müßten, wenn die Bonner Beamten kämen. »Das macht nur böses Blut«, sagte Berkefeld. Und ob man an dem Wettbewerbsergebnis — den geplanten sechs Hochhäusern — festhalten wolle, darauf möchte man sich ebenfalls nicht festlegen.

Planung soll aufs Eis

Böses Blut verursachte das Bonner Nein auch letzte Woche in der Baukommission des Bundestages. Dort forderten die Bonner, das nötige Bebauungsplanverfahren auf Eis zu legen. Die Berliner hielten dagegen. »Wir werden auf alle Fälle noch im Herbst diesen Jahres mit dem Bebauungsplanverfahren beginnen«, stellt Branoner im Namen der Stadtentwicklungsverwaltung klar. Nach der Sommerpause erwarte man vom Bund eine Zusage, was dieser mit dem Gelände anzufangen gedenke — widrigstenfalls baue eben das Land Berlin selbst für die Berliner. Das Wettbewerbsergebnis zu revidieren sei eine »Verschwendung von Ressourcen«, so Branoner.

Der aktuelle Streit zwischen Bonn und Berlin ist jedoch nicht das einzige, das einer baldigen Realisierung im Wege steht. So ist das Grundstück nach wie vor planfestgestelltes Bahngelände und unter der Verwaltung ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR). Zwar sei man sich mit dem Senat darüber einig, daß auf diesem Gelände Wohnungen gebaut würden, mithin also die Planfeststellung für Eisenbahngelände aufgehoben werden kann, so VdeR-Mitarbeiterin Pliete.

Nicht einig ist man sich jedoch über den Preis. Nun gibt es zwar noch aus der DDR-Zeit eine Rahmenvereinbarung zwischen der Reichsbahn und dem Berliner Senat. Die sah vor, daß das Land Berlin das Gelände bekommen sollte — was übrigens eigentlich schon im Januar 1989 hätte geschehen sollen. Im Gegenzug dafür investierte der Senat in den Ausbau von Reichsbahnanlagen, unter anderem am Sachsendamm, an der Fernbahn in Steglitz und in den Hamburger- und Lehrter Containerbahnhof. Allein dort verbaute das vertragstreue Land Berlin bisher 46 Millionen Mark.

Die Bahn verhandelt nach

Diese Gegenleistung sei jedoch heutzutage als Preis nicht mehr angemessen, denn der Moabiter Werder sei wertvoller geworden, sagt Pliete. Nicht nur, daß der Werder nun innerstädtisches Gebiet ist, man habe damals aus politischen Gründen gegenüber der DDR mehr Entgegenkommen gezeigt, als man es heute tun würde, kurz: Die VdeR verhandelt nach, und die Verhandlungen sind, so Verkehrssenator Herwig Haase in der Antwort auf eine kleine Anfrage, »schwierig und zeitaufwendig«. Und: »Ein Zeitpunkt des Erwerbs«, so Haase weiter, »kann nicht terminiert werden.«

Aber auch wenn diese Verhandlungen abgeschlossen sind, kommt ein neues Problembündel auf den Senat zu: Zwar wurden einige Gewerbebetriebe inzwischen umgesetzt, aber nicht alle, obwohl die VdeR ihnen schon im letzten Jahr gekündigt hat. Namentlich der größte von ihnen, die Spedition Hamacher, residiert noch am Spreeufer. Bislang hat Hamacher mit seinen zahlreichen Lastwagen trotz einiger Bemühungen im Umland kein Ausweichquartier gefunden. Und räumen lassen, so Vermieterin Pliete, wolle man die Firma nicht.

Und schließlich müssen noch zahlreiche industrielle Altlasten beseitigt werden, wurden auf dem Gelände bisher auch Ölfässer und Chemikalien gelagert. Sogar Arsen soll im Boden sein, stellte die Tiergartener Gesundheitsstadträtin Nitz- Spatz schon vor Monaten fest. »Bauen auf der grünen Wiese ist natürlich einfacher«, sagt Branoner dazu. Eva Schweitzer