Es stimmt nicht, daß es keine Verkehrsplanerinnen gibt

■ Verkehrsexpertin Petra Rau widerspricht der Verkehrsverwaltung: Auch Frauen wollen leitende Positionen/ Uni muß frauenfreundlicher werden

Berlin. In der Verkehrsverwaltung sitzen in den leitenden Positionen nur Männer (siehe gestriger Bericht). Die taz fragte Petra Rau, bis April dieses Jahres wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU für Verkehrsplanung, welche Auswirkungen die Männerdominanz auf die Verkehrspolitik hat und wie die Macht der Männer gebrochen werden kann.

taz: Verkehrssenator Haase (CDU) behauptet, daß seine Männer bei der Verkehrsplanung alle Verkehrsteilnehmer, auch Frauen, Kinder, Rentner und Behinderte, berücksichtigen. Stimmt das?

Petra Rau: Das Gegenteil trifft zu. Alle VerkehrsteilnehmerInnen müssen repräsentativ vertreten sein. Wenn aber Behindertenverbände oder Frauengruppen an die Verwaltung herantreten, werden sie nicht gehört. Daß an alle gedacht würde, kann man ganz klar widerlegen. Wenn man sich anguckt, wessen Tagesabläufe bei den Planungen Pate stehen, dann ist das der männliche Tagesablauf — und der ist autoorientiert.

Wodurch unterscheidet sich ein »männlicher Tagesablauf« von einem »weiblichen«?

Die Tagesabläufe von Männern sind durch einfache Wege gekennzeichnet. Morgens fahren sie zur Arbeit, abends nach Hause. Frauen sind dagegen nach wie vor für Hausarbeit und Kindererziehung zuständig, auch und gerade wenn sie berufstätig sind, so daß sie eine Menge zusätzlicher Wege bewältigen müssen. Sie müssen die Kinder wegbringen, einkaufen und überlegen, was sie miterledigen können.

Wie macht sich das im Straßenverkehr bemerkbar, daß Haases Männer den Alltag der Frauen nicht berücksichtigen?

Das wäre beispielsweise die fußläufige Erreichbarkeit von Infrastruktur. Nicht nur der Bäcker und das Lebensmittelgeschäft müssen um die Ecke sein, sondern auch der Kurzwarenladen.

Die Verkehrsverwaltung ist weder für die Lage von Bäckern, Supermärkten noch Kurzwarenläden zuständig.

Wenn man kombinierte Wege hat, braucht man beispielsweise Straßen, die man zu jeder Zeit überall überqueren kann. Da brauchen wir nur zum Fenster hinauszugucken, dann sehen wir, welche Umwege wir zum Überqueren der Straße in Kauf nehmen müssen. Und zwar weil der Autoverkehr Priorität genießt und nicht das Zufußgehen.

Eine Verkehrsverwaltung, die die Interessen aller Berliner im Verkehr berücksichtigen will, müßte also anders besetzt sein.

Ja, sie müßte auf allen Ebenen ganauso viele Frauen wie Männer beschäftigen. Frauen stellen die Hälfte der Gesellschaft.

Die Verkehrsverwaltung behauptet, Frauen bei gleicher Qualifikation Männern gegenüber zu bevorzugen — sie hat auch die Verpflichtung aufgrund des Landes- Antidiskriminierungsgesetzes —, doch Frauen bewerben sich nicht.

Es gibt weniger Frauen, die Verkehrsplanung studieren. Aber es stimmt nicht, daß man keine bekommt. Natürlich müßte sich die Verwaltung intensiver bemühen. Es gibt an verkehrswissenschaftlichen Hochschulen Absolventinnen. Die Verwaltung könnte bundesweit suchen. Oder sie könnte sich an Frauenverbände wie die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen — ein bundesweites Netzwerk — wenden. Doch auf diese Idee kommt die Verwaltung nicht.

Sie kritisieren, daß die Verkehrsverwaltung nicht alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt. Wird das im Fachbereich Verkehrswesen getan?

Bei uns werden in erster Linie konstruktive Ingenieure ausgebildet, sprich Flugzeug-, Schiff-, Kraftfahrzeug- und Straßenbauer. Dann gibt es den Bereich Verkehrspolitik und Verkehrswirtschaft und den Bereich integrierte Verkehrsplanung. Da wird versucht, nicht nur über technische Daten zu reden, sondern auch andere Disziplinen miteinzubeziehen, bei Planungen an die Menschen zu denken, die es betrifft.

Bilden Ihre Studenten — einmal abgesehen vom Alter — einen repräsentativen Schnitt durch die Gesellschaft? Studieren genauso viele Frauen wie Männer?

Nein.

Wird also schon in der Universität angelegt, daß die Verkehrsverwaltung und -politik vor allem von technisch denkenden Männern besetzt werden wird?

Ja, die Studentinnen, die hier Planung und Betrieb studieren wollen — die Studienrichtung, bei der es um den planerischen Aspekt geht —, müssen die Hürde des Maschinenbau-Grundstudiums nehmen. Alle, die Planung studieren wollen, müssen Mechanik und Konstruktionslehre lernen, obwohl sie es in ihrem Leben nie wieder brauchen werden. Das stößt sehr viele Frauen ab.

Gibt es innerhalb der Uni Bemühungen, dies zu ändern?

Es gibt kritische Stimmen gegen dieses Grundstudium. Doch ein Konsens im Fachbereich fehlt. Die meisten Professoren halten die Ingeneurwissenschaften hoch. In der TU- weiten Strukturdebatte bekam aber der Planungsgedanke eine zentrale Bedeutung. Es wurde im Rahmen dieser Debatte diskutiert, das Verkehrswesenseminar, das bereits heute den fachübergreifenden, integrierten Umgang mit Planungsfragen praktiziert, als ein »interdisziplinäres Zentrum Verkehr« aufzuwerten. Und ihm eine zentrale Stellung zuzuweisen. Da würde es gerade um die Integration der konstruktiven und planerischen Ingenieure gehen — die mehr als überfällig ist. Interview: Dirk Wildt