Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß

■ In den siebziger Jahren verpönt, ist die Ehe heute beliebter denn je/ Doch meist lebt das Brautpaar, im Soziologendeutsch „moderne TraditionalistInnen“, schon Jahre zusammen

Eitel Freude bei Pronuptia: Die Flaute des französischen Brautausstatters ist überwunden. Seit dem Krisenjahr 1987 mit nur 265.000 Hochzeiten im ganzen Land steigt die Zahl der Eheschließungen wieder. „Die junge Frau gibt heute im Schnitt 900 Mark für ein (meist weißes) Brautkleid aus“, so die Erfahrung des Unternehmens. „Das Bild von der Ehe hat sich enorm gewandelt“, erklärt Francoise Gouse, Chefredakteurin der Vierteljahreszeitschrift 'Mariages‘ mit einer Auflage von 60.000 Exemplaren. „In den 70er Jahren galt die Hochzeit als altmodisch. Heute ist die traditionelle und kirchliche Hochzeit wieder im Kommen. Und viele Frauen, die in den 70er Jahren standesamtlich eine Ehe geschlossen haben, wollen jetzt eine Hochzeit in Weiß, sie haben ein richtiges Nachholbedürfnis.“

Frankreich...

Dennoch hat die Ehe für die Franzosen heute eine ganz andere Bedeutung als früher. Was früher obligatorisches Ritual vor dem Sprung ins Ungewisse war, ist heute eine Partnerwahl „à la carte“: Neun Prozent der FranzösInnen (das sind über zwei Millionen Paare) leben im „Konkubinat“. Immer später entschließen sich die Paare zur Ehe.

Mehr als alle anderen Europäer warten die Franzosen damit, bis Nachwuchs da ist: Pro Jahr verwandeln die Franzosen rund 60.000 „natürliche“ Kinder zu „legitimen“, ehelichen Kindern. Freilich wird auch die Scheidung immer selbstverständlicher. Jede dritte Ehe wird wieder gelöst.

Um den gewandelten Sitten und Gebräuchen Rechnung zu tragen, hat sich kürzlich eine Bewegung gebildet, die das Recht auf einen „zivilen Unionsvertrag“ gesetzlich verankern will. Ein solches Gesetz soll — unabhängig vom Geschlecht — allen Paaren rechtliche und soziale Sicherheit garantieren.

... Schweden...

Ingemar und Lena haben zwei Kinder, das älteste ist gerade in die Schule gekommen. Ingemar ist 30, Lena wird 25. Sie hat eine Ausbildung im Gesundheitssektor und arbeitet Teilzeit. Er arbeitet voll bei einer kleinen privaten Firma. Ihre Teilzeit wechselt zwischen zwei Schichten, was eine genaue Zeitplanung voraussetzt. Geht es mal gar nicht, helfen die Eltern aus. Für Lena ist es selbstverständlich, daß sie — wieder — arbeitet und die jüngste Tochter den „Dagis“, den Ganztagskindergarten besucht. Genauso selbstverständlich ist, daß sie nur Teilzeit arbeitet: Sie braucht Zeit für Familie und den Haushalt, für den sie hauptsächlich verantwortlich ist (Lena: „Das Putzen bleibt immer an mir hängen“). Das Familienleben spielt sich nur am Wochenende oder im Urlaub etwas ausführlicher ab. Manchmal jedoch geht Ingemar später zur Arbeit als Lena, „dann kümmere ich mich um die Kinder. Als Mia geboren wurde, habe ich einen halbjährigen Vaterschaftsurlaub genommen, das war schön. Ich habe zu ihr viel mehr Kontakt gewonnen als zu Hans.“

Lena und Ingemar haben erst nach der Geburt ihres Sohnes geheiratet. 53 Prozent aller Kinder werden außerehelich geboren. Irgendwann wird dann aber doch geheiratet: 80 Prozent aller Paare sind verheiratet. Rechtliche Gründe spielen dafür keine Rolle: Seit 1988 sind vor dem Gesetz verheiratete und ledige Paare (das betrifft auch homosexuelle Paare) bezogen auf Güter- und Unterhaltsrecht und die juristische Stellung der Kinder fast gleichgestellt. „Moderne TraditionalistInnen“ nennen schwedische Soziologinnen das Durchschnittsehepaar Ingemar und Lene.

... und Großbritannien

Trotz der ständigen Ehekrisen im Buckingham-Palast hat auch in Großbritannien der Trend zum Heiraten in den vergangenen drei, vier Jahren wieder deutlich zugenommen. „Ein Kollege von mir hat vor kurzem geheiratet, nachdem er bereits 18 Jahre mit seiner Freundin zusammenlebte“, sagt die 'Guardian‘- Redakteurin Dominique Jackson, die vor wenigen Tagen selbst mit ihrem Freund in den Ehestand getreten ist.

1991 wurden in Großbritannien 400.000 Hochzeiten gezählt, 48 Prozent davon in Standesämtern. Es gibt eine Handvoll Hochglanzmagazine mit Titeln wie 'Wedding‘ oder 'Bride‘, die sich ausschließlich diesem Thema widmen. Darin erfährt frau, wie sie sich auf der Hochzeitsreise richtig bräunt, wie die Sitzordnung bei einer Doppelhochzeit aussehen und worauf man bei den Blumenarrangements achten muß. Auch ein heraustrennbarer Wunschzettel, auf dem man die Hochzeitsgeschenke ankreuzen kann, fehlt nicht. Selbst der britische 'Independent‘ berichtete in der vergangenen Woche auf einer ganzen Seite über Brautmode. Wegen des Hochzeitsbooms weisen Restaurants und Hotels darauf hin, daß man vor allem im Sommer Monate im voraus buchen sollte, um eine Enttäuschung zu vermeiden. Eine durchschnittliche Hochzeit kostet 8.000 Pfund. Das sind über 20.000 Mark. Die Heiratsindustrie blüht, und von Rolls-Royce-Vermietern über Fotografen bis hin zu Streichquartetts für die musikalische Untermalung beim Festmahl wollen alle am Geldsegen teilhaben. Bettina Kaps (Paris),

Reinhard Wolff (Stockholm)

Ralf Sotscheck (Dublin)