Das Feuilleton wischt gründlich nach

■ Überkandidelter Meilenstein: Simone Borowiaks „Frau Rettich, die Czerni und ich“

Selten so gelacht. Simone Borowiak, Insidern bekannt als scharfzüngige 'Titanic‘-Redakteurin, hat mir mit ihrem ersten Buch ein seltenes Lesevergnügen bereitet. Zwei kurzweilige Stunden durfte ich drei ziemlich überkandidelte Frauen, die sich während eines Spanisch- Sprachkurses kennengelernt und angefreundet haben, auf ihrem Trip nach Spanien begleiten. Frau Rettich ist die Lehrerin und steht kurz vor der Verlobung mit einem Spanier. Die „sozialdemokratische“ Czerni stammt aus Fulda, hat einen Schuhtick, ist etwas begriffsstutzig und total sprachunbegabt. Die Ich-Erzählerin, von den anderen Goldstück genannt, ist eine kleine Streberin, immer etwas pikiert ob der Verhaltensweisen ihrer Freundinnen und nicht auf's Maul gefallen. Da heißt es über die Rettich: „Unter dem schwarzen Kostümröckchen steht satt definiert ein prächtiger Arsch, den Frau Rettich auf den zartesten Fesseln Mitteleuropas spazieren führt; und alles, alles, der Arsch, die Fesseln und Mitteleuropa wird regiert von Rettichs schönem blonden Kopf, der aus purem Granit geschaffen ist.“

Über die Czerni und ihren Liebhaber heißt es: „Sollte es dennoch zwischen den beiden versehentlich zum einen oder anderen Koitus kommen, wird's wohl von sehr eigener Pikanterie sein und etwa so feurig wie Essen auf Rädern.“ Die Urlaubspläne sehen vor, daß die beiden Schülerinnen ihre Lehrerin, die nach Madrid zu ihrem novio will, ein Stück des Wegs begleiten. Mit einer hierzulande kaum gekonnten Situationskomik erzählt die Borowiak die durch die Bank banalen Abenteuer der drei. Beispiel Harndrang: „Der weibliche Mensch kann bekanntlich, so seine Blase gefüllt ist, auf jedem Klo der Welt über sich hinauswachsen. Dann vermag er es, mit einem Fuß die klinkenlose Tür zu versperren, mit dem anderen sich hüpfend der geborstenen Schüssel zu nähern. Und hat er, wie ich, eine Zeitung in der Handtasche, ist er errettet aus seiner Not. Auf dem politischen Teil ist gut balancierendes Hocken, das Feuilleton wischt harsch, doch gründlich nach, und mit den verbleibenden Händen läßt sich sogar eine Handtasche hochhalten über die gelben Pfützen am Boden.“ Daneben machen dezent eingeflochtene Bilder unbarmherzig Politik: „Ich jedenfalls muß trotz starkem Brechreiz immer wieder lachen, wenn ich den wabernden Kanzler sehe, wie er auf SS-Friedhöfen sein Paulskirchengesicht macht und so läuft, als hätte ihm der Protokollchef kurz vorher persönlich die Hosen bis zum Bruchband zugeschissen.“ Ein Meilenstein der leichthändig geschriebenen Unterhaltungsliteratur. Wolfgang Rüger

Eichborn Verlag, 22 Mark